04 Im Bann der Nacht
ihr aufflackerte, weigerte sie sich, den Gedanken zu Ende zu denken. Großer Gott, sie hatte gerade wirklich andere Probleme! »Alles okay«, antwortete sie mit fester Stimme.
Levet sah sie zweifelnd an, aber da er offenbar erkannte, dass sie nicht die Absicht hatte, ihm ihr Herz auszuschütten, nickte er. »Dann versuchen wir noch einmal das Abschirmen.«
Anna war wenig begeistert. Bisher waren starke, pochende Kopfschmerzen alles, was sie erreicht hatte. »Aber keine Zäune mehr.«
»Na schön. Schließen Sie Ihre Augen, und stellen Sie sich vor, Sie gingen durch einen langen Gang.«
Anna tat wie er ihr geheißen hatte und zwang ihre eigensinnigen Gedanken streng dazu, sich einen langen, schmalen Gang vorzustellen. Als sie sich sicher war, dass er sich nicht wieder in Luft auflösen würde, holte sie tief Luft. »Okay.«
Levet umfasste mit den Händen ihr Gesicht. »Gut. Jetzt stellen Sie sich vor, Sie schlössen alle paar Schritte eine Tür hinter sich. Nein, eine Stahltür. Oui, oui. Sehr gut.«
Anna vertiefte sich vollkommen in die Illusion, die sie erschuf. Sie wanderte den hell erleuchteten Gang entlang und zwang sich, immer nach einigen Schritten eine neue Tür zu erzeugen. Es wirkte alles verdammt real. Sogar so real, dass sie erst einen Moment lang dem seltsamen Klopfen an der Tür zuhörte, bevor die Panik einsetzte.
»Levet!«
»Ja?«
»Da klopft jemand gegen die Tür!«
Levet quietschte etwas auf Französisch und schloss die Finger fester um ihr Gesicht. »Konzentration, ma petite ! Lassen Sie sie nicht herein!« Ohne Vorwarnung sanken Levets Hände von ihrem Gesicht, und er holte scharf Luft. »Hoppla.«
»Hoppla?« Anna hielt die Augen fest geschlossen, und in ihrem Kopf pochte es, als sie sich verzweifelt die Stahltür vorstellte. »Die Tür ist fest verschlossen.Was meinen Sie mit ›hoppla‹?«
»Das.«
Obwohl sich Anna nicht sicher war, ob es eine gute Idee war, öffnete sie langsam die Augen und drehte den Kopf, um dem Blick aus Levets aufgerissenen Augen zu folgen. O nein. Ganz sicher war es keine gute Idee. Was zur Hölle war dieses seltsame Schimmern, das in der Nähe des Fensters in der Luft schwebte? Es wirkte fast wie ein Spiegel, der nicht ganz ausgeformt war. Oder vielleicht war es auch ein flackernder Lichttunnel?
»Gott im Himmel«, keuchte sie. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. »Was ist denn das?«
Levet hüpfte vom Bett, und sein Schwanz zuckte vor Aufregung. »Ein Portal!«
»Ein Portal?«
»Eine Tür zwischen Zeit und Raum.«
Na, wenn’s weiter nichts war … Anna musste Levets Erklärung wohl oder übel hinnehmen. »Und warum ist es hier?«
»Offenbar entschied sich Ihr Besuch dafür, persönlich vorbeizukommen, nachdem er Ihren Geist nicht erreichen konnte.«
Anna glitt vom Bett. Ihr Körper war vor Anspannung völlig verkrampft. Es gab nur eine einzige Person, die versuchen würde, sich den Weg in ihren Geist mit Gewalt zu bahnen.
»Wie unhöflich«, empörte sich Levet. »Man lässt nicht einfach mitten im Schlafzimmer einer anderen Person ein Portal entstehen.Was, wenn wir gerade dabei wären … Sie wissen schon.« Levet sah beleidigt aus, als er Annas ungläubigen Blick sah. »Sehen Sie mich nicht so an, das ist doch nicht so unwahrscheinlich.«
Sie seufzte. »Levet, wir sollten uns einfach auf das konzentrieren, was da kommt.«
Sein Schwanz zuckte, und er griff mit seiner Hand nach der von Anna. »Ich denke, wir wissen beide, was da kommt.«
Der Duft von Granatäpfeln lag bereits in der Luft. Der fruchtige Geruch ließ Annas Haut vor Angst kribbeln. »Wir müssen hier raus«, flüsterte sie, aber ihre Füße blieben wie angewurzelt stehen. »Levet …«
Der Gargyle ächzte mit finsterer Miene. »Ich kann mich ebenfalls nicht bewegen.«
Anna wehrte sich gegen die unsichtbaren Fesseln, als sich das Portal weitete, um eine große rothaarige Frau zum Vorschein zu bringen, die ein langes, hauchdünnes Kleid trug. Ein hinreißendes Smaragdhalsband hing ihr um den Hals. Das Bild war verschwommen, aber das wunderschöne Gesicht war unverkennbar. Es war die Frau aus ihren Träumen. Aus ihren Albträumen.
Anna schloss ihre Finger um Levets. Diese Frau befand sich nicht wirklich im Zimmer, aber sie war trotzdem bereits viel näher, als Anna sich das wünschte.
»Danteeeeeeee!« , kreischte Levet, und seine Stimme hallte mit einem unheimlichen Echo durch den Raum.
Die Frau ließ ein kehliges Lachen ertönen, aber auf Anna wirkte es, als ob in dem
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