04 - komplett
waren ihre Tage stets ausgefüllt gewesen, ja, sie schien kaum genug Zeit für all das zu haben, was auf sie wartete. Sie nahm Tanzstunden und Musikunterricht, erhielt Einladungen zu Bällen und Partys. Und obwohl die anderen Mädchen mitunter ihre Launen hatten, amüsierte sie sich im Großen und Ganzen doch prächtig.
Immerhin hätte es eine angenehme Abwechslung darstellen können, einkaufen zu gehen, doch war das Budget, das Marcus ihr zu Saisonbeginn ausgesetzt hatte, erschöpft, sodass sie sich zukünftig an ihren Gatten wenden musste ... Bekümmert seufzend verließ sie ihr Schlafgemach und eilte die Treppe hinunter. Durch die offene Tür des leeren Esszimmers erblickte sie ein noch halb volles Dessertschälchen mit Maraschinogelee, woraus sie schloss, dass auch Kit der Appetit vergangen war und er sich in seinen Club verzogen hatte. So sollte sein Arbeitszimmer unbeaufsichtigt sein ... was sich als richtig erwies.
Eleanor hätte schwören können, dass es ihr bis zu diesem Moment völlig fernlag, nach Hinweisen über die Abwesenheit ihres Gatten zu forschen. Nicht einmal sich selbst gegenüber hätte sie zugegeben, etwas darüber wissen zu wollen. Nun aber, da die Gelegenheit sich bot, zögerte sie keine Sekunde, zog die Tür hinter sich ins Schloss und begann sofort, den Schreibtisch zu durchsuchen.
Zuerst fand sie nur drei Briefe vom Hauseigentümer und ein paar Rechnungen von den Schneidern Seiner Lordschaft, doch dann fiel ihr Blick auf ein Stückchen Papier, das sich in einem Riss in der Rückwand der untersten Schublade verfangen hatte.
Sich auf die Fersen hockend, studierte sie die mit flüssiger Handschrift verfasste Notiz und schluckte bestürzt, stammte sie doch zweifelsohne aus der Feder einer Frau.
„John heute Abend, sieben Uhr“, las sie halblaut, während sie aufstand. „Dank für alles ...“
Von Neugier getrieben, trat Eleanor zum Fenster und versuchte, im Schein der Straßenlaternen auch die nächste Zeile zu lesen, die wie eine Unterschrift wirkte; doch war das Papier zerfetzt, weshalb sie zu ihrer Enttäuschung nichts entziffern konnte. Rechts oben schien das Datum hingekritzelt zu sein; um es aber erkennen zu können, brauchte sie helleres Licht ...
Das leise Klicken des Türschlosses ließ sie herumfahren. Geistesgegenwärtig ließ sie den Zettel zu Boden fallen und stellte ihren Fuß darauf, sodass ihre Röcke ihn verbargen.
„Kann ich Ihnen behilflich sein, meine Liebe?“, fragte Kit, der ins Zimmer getreten war.
„Nun ja ...“, antwortete Eleanor nervös, die es recht rücksichtslos von ihm fand, so bald heimzukehren, „ich habe nur nach Feder und Tinte gesucht. Ich wollte einen Brief an ...“ Hier stockte sie, weil ihr niemand auf Anhieb einfiel, und machte eine unbestimmte Geste.
Seelenruhig wartete Kit ab, dass sie ihren Satz beendete, und ergriff erst das Wort, als ihr dies nicht gelang.
„Die Dienerschaft kann Sie mit allem versorgen, was Sie benötigen“, versicherte er,
„sodass Sie hier nicht im Dunkeln herumsuchen müssen. Da Sie aber schon einmal hier sind, meine Liebe, können wir wohl gemeinsam einen Schlummertrunk nehmen. Lassen Sie uns in den Salon hinübergehen.“
„Oh nein!“, antwortete Eleanor wenig liebenswürdig, die fürchtete, den geheimnisvollen Zettel nicht unbemerkt aufheben zu können. „Aber wir können hier sitzen“, setzte sie, mit einem Male überfreundlich, hinzu. „Gerade merke ich, wie gemütlich dieses Zimmer ist, Mylord, in das ich mich bisher kaum hineinwagte.“
Damit glitt sie in den ihr zunächst stehenden Sessel, wobei sie ihre Röcke wie einen Besen über den Boden fegen ließ und den Zettel mit dem Fuß nachzog. Wie sehr sie sich wünschte, dass Kit ihr für einen Moment den Rücken zudrehte!
Dies tat er aber nicht. Selbst beim Einschenken des Madeiraweins schien er sie nicht aus den Augen zu lassen, trat dann zu ihr und reichte ihr das Glas. Immer schwerer fiel es Eleanor, Unbefangenheit vorzutäuschen – war ihr doch, als brenne das Stückchen Papier mit der geheimnisvollen Botschaft unter ihrer Sohle.
„Hatten Sie ansonsten einen angenehmen Abend, meine Liebe?“, fragte Kit mit einem Zwinkern. „Ich nehme an, Sie langweilten sich nicht? Indes zweifle ich nicht daran, dass wir in Kürze wieder allerlei Einladungen zu erwarten haben.“
„Das steht zu hoffen“, stimmte Eleanor ihm aus vollstem Herzen zu, da sie fürchtete, weitere Abende wie diesen nicht ertragen zu können.
„Es ist nun einmal so
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