04 - Lebe lieber untot
Sogleich rasten meine Gedanken zu dem Geschenk zurück, das ich auf meiner Türschwelle vorgefunden hatte.
„Es ist wirklich nicht nötig, mir noch weitere Überraschungen hierzulassen“, rief ich laut. „Ich hab's ja kapiert. Sie sind der größte und gefährlichste Mistkerl in ganz New York.“
„Ich freu mich auch, dich zu sehen.“
Die tiefe, wohlvertraute Stimme grollte in meinem Kopf, und ein tiefes Gefühl der Erleichterung durchflutete mich, gleich darauf gefolgt von einer Welle der Wut. Die mordlustige Bestie verwandelte sich in eine stinksaure Bestie, deren Zorn sich gegen den gewandelten Vampir richtete, der direkt hinter mir stand.
Ich schenkte ihm meinen Parade-Wutblick.
Zumindest hatte ich vor, ihn wütend anzusehen. Aber dann geriet Ty Bonner in mein Blickfeld, und mit einem Mal konnte ich ihn einfach nur noch anstarren.
Wenn ich in den vergangenen Wochen seit unserer Verabschiedungs-Sexorgie auch mehr als einmal an ihn gedacht hatte, so hatte ich ihn seitdem doch nicht mehr leibhaftig zu Gesicht bekommen.
Er sah sogar noch besser aus, als ich in Erinnerung hatte.
Wilder. Sehr sexy. Und tres macho.
Langes, dunkles Haar fiel ihm bis auf die Schultern. Sein markantes Kinn und sein männlicher Unterkiefer waren mit Bartstoppeln bedeckt. Seine blauen Augen leuchteten in einer neonartigen Intensität, die meinen Bauch kribbeln und meine Brustwarzen steinhart werden ließ. Er war in typischer Cowboymanier gekleidet: schwarzer Staubmantel aus Leder, schwarze Jeans und schwarze Stiefel. Den Stetson hatte er so tief in die Stirn gezogen, dass die obere Hälfte seines Gesichts im Schatten lag und die winzige Narbe, die eine seiner Augenbrauen zweiteilte, verdeckt war.
Aber ich musste die kleine Hautunebenheit gar nicht sehen, um zu wissen, dass sie da war. Ich hatte sie schon mit meinen Händen gespürt. Ich hatte sie sogar mit meinen Lippen erkundet und mit meiner Zunge abgeleckt. Genau genommen war meine Zunge von dort oben über die glatte Säule seines Halses, über die kleine Senke seines Schlüsselbeins, um seine Nippel herum, seinen Bauchnabel, sein -
Pssst.
Und da heißt es immer, Männer seien sexbesessen . .
Ich versetzte meinem inneren Ich einen mentalen Tritt in den Arsch und setzte meine beleidigste Miene auf. „Ich hätte mir vor Angst fast in die Hose gemacht! Noch nie was von Anklopfen gehört?“
Er warf mir jenen seltsamen Blick zu, der besagte, dass das doch wohl kaum mein Ernst sein könnte, und zuckte dann mit den Schultern. „Klopfen wird weithin völlig überschätzt. Wo bleibt da die Überraschung?“
„Und weshalb genau wolltest du mich überraschen?“
„Sag du's mir.“ Er starrte mich an; seine blauen Augen drangen forschend immer tiefer. „Lil?“
„Ja?“
„Wie heißt du mit vollem Namen?“, fragte er, immer noch nicht überzeugt.
„Willst du mich auf den Arm nehmen? Du kennst doch meinen Namen.“
„Aber kennst du ihn auch?“
Ich blickte ihn mit zusammengekniffenen Augen an.
„Hast du was getrunken?“
„Ich habe gearbeitet. Jetzt beantworte meine Frage.“
Ich schüttelte den Kopf und überlegte ernsthaft, ob ich mich vielleicht kneifen sollte. Das alles konnte doch eigentlich nur bedeuten, dass ich mich mitten in einem grauenhaften Albtraum befand. Yo, ein Albtraum war echt klasse. Das würde nämlich bedeuten, dass Vinnie und die blutigen Fangzähne nur ein überaus lebhaftes Produkt meiner überreizten Fantasie waren. Ich hatte in letzter Zeit die sprichwörtliche Kerze an beiden Enden angezündet, um meine Firma zum Laufen zu bringen und meine Kreditkartenschulden zu bezahlen, die ich angesammelt hatte, um DED aufzubauen - und die mich inzwischen eingeholt hatten.
7
Das war doch wirklich die perfekte Erklärung, bis auf ein klitzekleines Problem. Abgesehen von einer gelegentlichen Strandfantasie träumte ich nicht. Ich schlief den Schlaf der Untoten - pechschwarz und alles verzehrend -, und das hieß: Das kannste voll vergessen, Schwester.
Also nichts von wegen Albtraum. Ich stürzte mich auf die nächste Erklärung, die mir in den Sinn kam. „Bin ich hier bei Verstehen Sie Spaß?“
„Läuft die Sendung überhaupt noch?“
Ich hatte keine Ahnung, da ich eigentlich nicht viel Fernsehen schaue. Evie (sie nahm so ziemlich alles auf) erzählte mir normalerweise alles Wichtige. „Aber du willst mich bestimmt verarschen, und hier ist irgendwo 'ne versteckte Kamera?“
„Nein.“
„What Not to Wear?“ Ich runzelte die Stirn.
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