04 - Lebe lieber untot
hatte.
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Ich machte mich mit dem schnellsten Notfalltransportmittel auf den Weg zurück in die Stadt; im Falle eines Menschen wäre es wohl ein Rettungshubschrauber gewesen, aber für uns gebürtige Vampire war es das Batmobil.
Eine halbe Stunde später stand ich auf der Treppe vor Evies Haus in Greenwich Village - ihre Wohnung lag im dritten Stock -, zusammen mit ihrem Nachbarn und Vermieter, Mr. Ernest Wallace.
Fünfundsiebzig. Nie verheiratet. Traf die Frau seiner Träume während des Zweiten Weltkriegs in Italien, aber sie war bereits verheiratet, und ihre Beziehung war von vornherein zum Scheitern verurteilt. Sie war bei ihrem Mann geblieben, und Ernie war wieder nach Hause gekommen, wo er einen Comicladen an der Lexington eröffnet hatte. Den Laden hatte er vor ein paar Jahren verkauft. Heute war er Präsident des Nachbarschaftswache-Vereins, da er die meiste Zeit damit verbrachte, in der Küche zu sitzen, Karten zu spielen und aus dem Fenster zu starren.
Und genau das hatte er auch vor zwei Stunden getan, als er gehört hatte, dass Evie über ihm ihren Fernseher ausgeschaltet hatte (er behielt nicht nur alles im Auge, sondern drehte auch sein Hörgerät volle Pulle auf).
Einige Sekunden später hatte er Schritte auf der Treppe gehört. Die Tür hatte sich geöffnet, und er hatte Evie gesehen, die gerade die Treppe vor dem Haus hinuntergestampft war. Sie hatte eine blaue Jeans, schwarze Kampfstiefel und ein Flanellhemd in Übergröße an.
Wenn ich noch irgendwelche Zweifel bezüglich dieser ganzen Sache von wegen Besessenheit gehabt hatte, dann verabschiedeten sie sich endgültig in dem Moment, als ich diese ausführliche Beschreibung ihrer Garderobe hörte.
Eins war klar: Sie konnte nur von einem Dämon besessen sein.
„Und“, fuhr Ernest fort, „sie hatte ihre ganzen hübschen blonden Haare mit so einem Haargummi zusammengebunden, wie die jungen Dinger das heute so tragen.“
Besser gesagt, von Satan höchstpersönlich.
Der einzige Sonnenstrahl an diesem sonst regenverhangenen Himmel?
Sie hatte sich nicht in Luft aufgelöst.
Stattdessen war sie in ein schmuddeliges Taxi eingestiegen -das Nummernschild war zu verdreckt, als dass man etwas hätte erkennen können -, das von einem Jamaikaner gefahren wurde.
Zumindest glaubte Ernest, dass der Mann Jamaikaner war. Er hätte allerdings auch Puerto-Ricaner oder Inder sein oder irgendeiner der anderen zig Millionen Nationalitäten angehören können, die sich im Big Apple herumtrieben.
„Am besten rufen Sie einfach ein paar dieser Taxiunternehmen an und geben denen eine Beschreibung durch. Ich wette, dann finden Sie auch sofort den Fahrer, der sie abgeholt hat.“
Ahm, ja sicher.
In New York City gab es ungefähr genauso viele ausländische Taxifahrer, wie es Hannah-Montana-Fans in den Vereinigten Staaten gab.
„Miss Evie hat doch wohl hoffentlich keinen Arger, oder? Edna oben in 2D meint, Evie wäre Kommunistin, weil sie doch immer diese Postwurfsendungen von den Demokraten kriegt, aber ich bin selber Demokrat und ganz sicher kein Kommunist.“
„Genau genommen steckt sie tatsächlich in Schwierigkeiten. Aber nichts Politisches. Es geht eher um was rein Persönliches.“
Er schüttelte den Kopf. „Immer diese verflixten Drogen.“
„Auch keine Drogen.“ „Schulden?“
Nicht so viele wie meine Wenigkeit. Ich schüttelte den Kopf. „Nein, nichts dergleichen.“
Er bewegte die Augenbrauen. „Vielleicht ein Dreiecksverhältnis?“
„In diese Sache sind nur zwei Personen verwickelt.“
„Da bin ich aber erleichtert. Diese Dreiecksbeziehungen funktionieren nämlich nie. Außer bei diesem jungen Kerl in IB. Der hat neulich nachts zwei junge Frauen mit nach Hause gebracht, die erst am nächsten Morgen nach dem Frühstück wieder gegangen sind. Ich hatte auf jeden Fall meine alte Schrotflinte parat, falls es Ärger gegeben hätte. Sie wissen schon, Frauen können ganz schön besitzergreifend sein. Aber diese beiden waren wirklich freundlich. Der junge Mann ist außerdem sehr nett, wenn er sich vielleicht auch manchmal etwas übernimmt, falls Sie verstehen, was ich meine. Hören Sie mal, ich könnte Sie ihm vorstellen, wenn Sie möchten.
So hübsch, wie Sie sind, hätten Sie ihn sicher im Nu zur Vernunft gebracht.“
„Nein, danke. Aber ich weiß Ihre Hilfe wirklich zu schätzen.“ Ich gab Ernest eine Dead-End-Dating-Visitenkarte. „Rufen Sie mich doch bitte auf dem Handy an, falls sie nach Hause kommt. Oder wenn Sie statt
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