04 - Mein ist die Rache
Geld, und er hatte bereits Mick bedroht. Brooke wollte ihn töten. Und ich war entschlossen, das zu verhindern.«
»O Gott.« Heißes Bedauern durchzuckte Lynley.
»Er sagte, es wäre völlig risikolos. Er könnte es so arrangieren, daß es nach einer Überdosis aussähe. Ich wußte nicht, was er vorhatte, aber ich glaubte, ich könnte ihn erst einmal hinhalten. Ich behauptete, ich hätte einen besseren Plan, und sagte ihm, er solle mich Samstag nacht oben auf den Felsen über der Bucht treffen.«
»Und da haben Sie ihn getötet?«
»Ich hatte das Messer bei mir, aber er war betrunken. Es war ganz einfach, ihn von den Felsen zu stoßen. Ich hoffte, man würde es für einen Unfall halten.« Trenarrow schwieg einen Moment. »Ich habe es nicht bedauert. Keine Sekunde. Ich bedaure es auch jetzt nicht.«
»Aber er hatte die Droge schon an Sasha gegeben. Ergotamin mit Chinin gemischt. Er sagte ihr, sie solle das Mittel Peter geben.«
»Jedesmal kam ich zu spät. Und das ist nun daraus geworden. Entsetzlich.« Trenarrow begann völlig sinnlos Papiere zusammenzuschieben und zu einem ordentlichen Häufchen zu stapeln. Mit stolzem Blick sah er sich im Zimmer um. »Ich wollte dieses Haus für sie. Gull Cottage hätte ich ihr nicht zumuten können. Allein der Gedanke war lachhaft. Aber hierher wäre sie gekommen. Und durch Oncomet wurde es möglich. Die Sache erschien mir also in zweifacher Hinsicht gut. Können Sie das verstehen? Menschen, die sonst dem sicheren Tod ausgeliefert gewesen wären, konnten leben und geheilt werden, und Ihre Mutter und ich konnten endlich Zusammensein. Ich wollte es für sie.«
Er hielt die Papiere in der einen Hand und zog mit der anderen die mittlere Schublade seines Schreibtischs auf.
»Hätte es Oncomet damals schon gegeben, ich hätte ihn gerettet, Tommy. Ohne Zögern. Ohne Rücksicht auf meine Gefühle für Ihre Mutter. Ich hoffe, Sie glauben mir.« Er legte die Papiere in die Schublade und ließ die Hand einen Moment auf ihnen ruhen. »Weiß sie von diesem Gespräch?«
Lynley dachte an seinen Vater und sein langes Leiden. Er dachte an seine Mutter, die versuchte, das Beste aus ihrem Leben zu machen. Er dachte an seinen Bruder, der allein aufgewachsen war. Er dachte an Trenarrow. Es fiel ihm schwer, zu sprechen. »Nein, sie weiß nichts.«
»Gott sei Dank.« Trenarrow schob die Hand in die Schublade und zog sie wieder heraus. Matter Glanz auf Metall, eine Pistole. »Gott sei Dank«, sagte er wieder und richtete die Waffe auf St. James.
»Roderick!« Lynley starrte auf die Pistole. Seine Gedanken rasten. Natürlich hatte Trenarrow für diesen Moment seine Vorbereitungen getroffen. Sie hatten ihm ja seit Tagen signalisiert, daß sie ihm auf der Spur waren. Ihre Fragen, ihre Gespräche, ihre Anrufe. »Roderick, um Gottes willen!«
»Ja«, sagte Trenarrow. »So ist es wohl.«
Lynley warf einen hastigen Blick auf St. James. Dessen Gesicht hatte sich nicht verändert; es zeigte nicht den Schatten einer Emotion. Lynley richtete den Blick wieder auf die Waffe. Trenarrows Finger schob sich zum Abzug.
Und plötzlich stand wieder die Möglichkeit vor ihm: die Steigerung des bösesten Wunsches.
Ihm blieben nur Sekundenbruchteile, sich zu entscheiden. Wähle, sagte er sich scharf. Und er tat es.
»Roderick, Sie können doch nicht im Ernst hoffen ...«
Das Krachen der Pistole schnitt ihm das Wort ab.
Deborah drückte sich beide Fäuste ins Kreuz, um die verspannten Muskeln zu entlasten. Es war warm und stickig im Zimmer. Obwohl das Fenster ohne Rücksicht auf den Regen draußen halb geöffnet war, trieb ihr der beißende Rauch von Cambreys Zigarette die Tränen in die Augen.
In der Redaktion lief der normale Arbeitstag weiter. Telefone läuteten, Schreibmaschinen klapperten, Schubladen wurden aufgezogen und zugestoßen, die Bodendielen knarrten unter eilenden Schritten. Deborah hatte den Inhalt eines ganzen Aktenschranks durchgesehen und nichts gefunden. Nach den Geräuschen zu urteilen, die Harry Cambrey von sich gab - Stöhnen, Seufzen, unterdrücktes Schimpfen -, schien es ihm nicht besser zu ergehen.
Sie gähnte. Sie fühlte sich völlig ausgepumpt. Sie hatte nur gegen Morgen ein oder zwei Stunden unruhig geschlafen. Das Bestreben, nur ja nicht an die vergangene Nacht zu denken, verlangte Tribut. Jetzt hatte sie einzig den Wunsch zu schlafen, zum Teil aus Ruhebedürfnis, vor allem aber, um zu fliehen und zu vergessen. Die Augen waren ihr so schwer, daß sie sie kaum offenhalten
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