04 - Spuren der Vergangenheit
verlor kein Wort über die Geschehnisse vor neun Jahreswechseln. Und Ah Ahaual konnte sich beherrschen, es seinerseits zu erwähnen.
»Kann ich … dich berühren?«, fragte er.
»Wozu willst du das?«
»Kann ich?«
Der Weiße erwiderte: »Ich bin nicht aus Fleisch und Blut. Aber versuche es.«
Ah Ahaual überwand seine kreatürliche Hemmung, machte drei Schritte auf die Erscheinung zu und tauchte mit der Hand in ihren nicht stofflichen Körper ein.
Zu fühlen war gar nichts.
Aber in dem Moment öffnete sich die Tür und Ts’onot trat in den Saal. »Vater!«, rief er, als er Ah Ahaual vor der Lichtgestalt entdeckte. Für ihn mochte es aussehen, als wollte der Weiße den Maya-Kaziken verschlingen.
Und hinter Ts’onot tauchten die entsetzten Gesichter der Wachen auf, die wie angewurzelt draußen stehen blieben, während Ts’onot sofort zu seinem Vater eilte.
»Nicht!«, rief Ah Ahaual ihm zu und wich von der Lichtgestalt zurück. »Bleib dort! Das hier geht nur mich und … ihn etwas an!«
»Ich sah ihn, als ich unterwegs zu dir war«, platzte es aus Ts’onot heraus. »Ich hatte eine Vision. Was will er von dir?«
Nachdem Ah Ahaual seinen Sohn aufgefordert hatte, die Tür zu schließen, erklärte er ihm das Wenige, das er selbst wusste. Und Ts’onot hörte überwältigt zu, auch als der Weiße das Wort ergriff, kaum dass der mächtigste Mann des Reiches geendet hatte.
»Sicher wollt ihr nun wissen, was die Götter von euch erwarten.«
Ah Ahaual hatte den Arm um Ts’onot gelegt. Stumm nickte er dem Gesandten der Götter zu. Die Ruhe, die plötzlich über ihn gekommen war, erstaunte ihn selbst. Aber vielleicht war es Ts’onots Anwesenheit, die ihm innere Stärke schenkte.
Die Lichtgestalt hob beide Hände und streckte sie Vater und Sohn mit offenen Handflächen entgegen. Über seinen leuchtenden Händen entstand ein Gebilde, das annähernd Kugelform besaß, in seiner genauen Formgebung aber völlig konfus wirkte und beim bloßen Hinsehen den Eindruck von ungebändigtem Chaos hinterließ.
Die Konstruktion schimmerte in den Farben von Gold, Kristall und Jade.
»Dies hier«, sagte der Mann aus Licht, »sollt ihr für mich bauen.«
»Was … ist das?«, stammelte Ts’onot.
»Eine Maschine«, erwiderte die Lichtgestalt.
»Was ist … eine Maschine?«
»Ein Ding, das euch belohnen soll.«
Bevor Ah Ahaual aufbegehren konnte, spürte er, wie Ts’onot neben ihm wankte. »Was ist, Sohn?«
»Was er uns zeigt … ist noch … nicht alles«, keuchte der Chilam stoßweise.
Das Weiß der Lichtgestalt schien noch stärker zu erstrahlen. Trotzdem hielten Ah Ahauals Augen dem Leuchten stand. »Er hat recht. Es ist nur die äußere Schale. Das Gehäuse sozusagen. Notwendig, aber bedeutungslos ohne seinen Kern.«
»Sein Kern?«, echote Ah Ahaual.
Das Gold verschwand und machte dem Bildnis eines pechschwarzen Objektes Platz, das wie ein riesiger Diamant mit vielen Facetten aussah, dabei aber so schwarz war, dass er sogar die Hände der Lichtgestalt mit Schatten zu überziehen schien.
»Das hier ist nur ein Abbild«, sagte der Götterbote, »aber das tatsächliche Gebilde wird das Herz der Maschine sein, die ihr zu bauen habt, um euch auf eine neue Stufe zu erheben – den Göttern näher. Nennt es den Himmelsstein. Ihn zu bergen wird eure vordringliche Aufgabe sein.«
»Und wenn wir – ablehnen?«, entfuhr es Ts’onot, ohne dass er selbst hätte sagen können, welcher Dämon ihn ritt. Ah Ahaual warf ihm einen entsetzten Blick zu.
»Schau in das Gesicht des Mannes, der über euer Reich gebietet«, wandte sich der Weiße zunächst an Ts’onot. »Dort kannst du die Antwort auf deine törichte Frage lesen. Man erzürnt die Allmächtigen nicht. Niemals! Ganz gewiss aber nicht, wenn sie die Sterblichen für ihre Treue reich belohnen wollen.«
9.
Gegenwart
»Eine Hintertür? Gewiss, aber …«
Tom ließ Maria Luisa nicht ausreden. »Keine Sorge, ich will nicht die Zeche prellen.« Er kramte in seiner Hosentasche, fand einige Scheine und drückte sie ihr in die Hand. »Aber wenn Ihre Ahnung Sie nicht trügt«, fuhr er fort, »würde ich alle hier in Gefahr bringen, wenn ich bliebe. Die, die nach mir suchen, sind nicht zimperlich in der Wahl ihrer Mittel. Das kann ich nicht riskieren.«
»Wer sind ›sie‹?«
»Leute, die vor nichts zurückschrecken, auch nicht vor Mord.«
Maria Luisa erschrak sichtlich. Bis zu diesem Moment schien ihr das volle Ausmaß der Gefahr nicht bewusst gewesen zu
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