04 - Winnetou IV
bekommt er ein zweites Loch, aber nicht durch den Hut, sondern durch den Kopf. Fare well, Mr. Evening! Ich hoffe, Ihr macht Euch ebenso schnell von dannen!“
Da hob Pappermann auch seinen Revolver und rief mir zu:
„Also fünf Minuten, nicht mehr! Dann ich den einen und Ihr den andern!“
Da griff Herr Okih-tschintscha schnell nach seinem durchlöcherten Hut, stülpte ihn auf und rannte nach seinem Pferd. Der Agent für alles packte alles, was er aus der Satteltasche genommen hatte, auch die Brandyflasche, wieder hinein, raffte die beiden Gewehre auf, denn Antonius Paper hatte das seinige vor Angst vergessen, und noch waren die fünf Minuten nicht vorüber, so ritten beide, ohne sich umzusehen, in größter Eile davon.
Nichts imponiert dem Indianer mehr als Mut und Energie. Unser Verhalten flößte den Komantschen Achtung ein. Die Folge hiervon zeigte sich sofort. Der Älteste von ihnen kam zu uns heran und fragte:
„Meine weißen Brüder kennen, wie man mir sagt, Old Surehand?“
„Ja“, antwortete ich.
„Und auch Apanatschka, unsern Häuptling?“
„Auch ihn. Ich kenne sogar Young Surehand und Young Apanatschka. Die beiden Väter und die beiden Söhne nennen mich ihren Freund.“
„Haben sie dir gesagt, was hier geschehen soll?“
„Ja. Sie haben mir Briefe darüber geschrieben. Sie haben mich eingeladen, nach dem Mount Winnetou zu kommen.“
„Hast du diese Briefe mit?“
„Ja.“
„Ich bitte dich, sie mir zu zeigen, damit ich sie lese!“
„Sehr gern, sehr gern!“
Ich mußte zwar den Koffer wieder öffnen, zögerte aber gar nicht, es zu tun. Das Herzle half mir dabei. Es gibt Augenblicke, in denen ihr der Schalk im Nacken sitzt; dann hat man sich vor ihr in acht zu nehmen. Jetzt war ein solcher Augenblick. Sie öffnete nicht meinen, sondern ihren Koffer, nahm vier quittierte Hotelrechnungen aus Leipzig, Bremerhaven, New York und Albany heraus, reichte sie dem Komantschen hin und sagte:
„Hier! Von den beiden Vätern und von den beiden Söhnen!“
Er machte mit der Hand ein Zeichen der Hochachtung und griff nach den Papieren. Er betrachtete sie sehr eingehend. Sein Gesicht nahm dabei mehr und mehr den Ausdruck an, den man als ‚Kennermiene‘ bezeichnet, er wendete sich an seine Leute und bestätigte, indem er die Rechnungen einzeln emporhob:
„Es stimmt; es ist wahr! Hier ist der Brief von Old Surehand und hier von Young Surehand, hier von Apanatschka und hier von Young Apanatschka, auf allen diesen Briefen steht, das diese Bleichgesichter Freunde sind und daß sie nach dem Mount Winnetou kommen sollen!“
Seine Kameraden wußten wahrscheinlich sehr genau, welche Künste ihm zuzutrauen seien und welche nicht, denn einer von ihnen fragte:
„Kannst du es denn lesen?“
„Nein“, antwortete er; „aber ich sehe es. Howgh!“
Er gab dem Frager die ‚Briefe‘ hin. Dieser prüfte sie ebenso eingehend und rief dann, indem er sie weitergab:
„Auch ich sehe es. Howgh!“
So gingen die Rechnungen weiter von Hand zu Hand. Ein jeder gab sein entscheidendes: „Auch ich sehe es, Howgh!“ dazu, und dann bekamen wir sie zurück, wobei der Anführer unser Schicksal entschied:
„Also dürfen meine weißen Brüder mit ihrer Squaw getrost weiterreiten. Die Krieger der Kanean-Komantschen haben ihren Häuptlingen mehr zu gehorchen als dem Komitee!“
Wir steckten die Rechnungen wieder in den Koffer. Das Herzle reichte dem wackeren Schriftverständigen die Hand zum Abschied und sprach:
„Mein roter Bruder ist nicht nur klug und verständig, sondern auch in der Deutung unserer Totems und Wampums sehr wohl bewandert. Er hat ein sehr gutes Herz. Ich danke ihm und werde mich seiner stets gern erinnern.“
Das war ihm fast zu viel. Er war beinahe starr vor Glück. Seine Augen strahlten. Er hielt ihre Hand fest, als ob er sie nicht wieder hergeben wolle, und stammelte endlich:
„Meine weiße Schwester hat strahlende Worte, wie die Sonne klingende Strahlen hat. Ich danke ihr! Ich hoffe, wir sehen sie wieder!“
Auch wir gaben ihm die Hand; dann ritten wir weiter.
Meine Frau nahm an, daß der uns vorangeeilte ‚Junge Adler‘ an irgendeiner Stelle anhalten werde, um auf uns zu warten. Ich aber war anderer Meinung. Er hatte sich von uns getrennt, uns bei den zu erwartenden interessanten Szenen nicht zu stören. Er wollte denen, die innerlich gegen uns standen, Gelegenheit geben, sich zu blamieren, und um das zu erreichen, durfte er nicht bei uns sein. Ich war also überzeugt, daß wir
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