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04 - Winnetou IV

04 - Winnetou IV

Titel: 04 - Winnetou IV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Aus dem dunklen Grün der Tannen und Fichten steigen die helleren Hochgebirgswiesen empor. Auf halber Höhe steht ein altindianischer Wartturm, von dem aus man die ganze Ebene und die oberen Windungen des Flusses zu überschauen vermag. Und einige Fuß weiter herab weichen Berg und Wald zurück, um ein weit hervorragendes Plateau zu bilden, auf welchem, einer uneinnehmbaren Festung ähnlich, eine nach beiden Seiten lang ausgestreckte Reihe von Gebäuden steht, deren Alter ganz gewiß noch über die Tolteken- und Aztekenzeit zurückreicht und auf jene graue Vergangenheit deutet, deren Reste jetzt so außerordentlich selten sind. Da oben wohnt Tatellah-Satah, der ‚Bewahrer der großen Medizin‘. Man geht durch den vorderen Teil des Tales und dann durch ein Seitental hinauf zu ihm. Doch ist es keinem Menschen gestattet, ohne seine besondere Erlaubnis diesen Weg zu betreten.
    Der Hauptturm des gigantischen Domes ist der eigentliche Mount Winnetou, der Nebenturm aber der ‚Berg der Medizinen‘. Und dieser letztere ist es, von dem es heißt, daß der ‚Junge Adler‘ dreimal um ihn fliegen werde, um dem roten Mann die verlorengegangenen Medizinen zurückzubringen.
    Die hochebene Prärie vor dem Mount Winnetou war so groß, daß ihr Durchmesser die Länge fast einer ganzen Reitstunde betrug. Sie war jetzt nicht leer, sondern mit Hütten und Zelten besetzt, welche in ihrer Gesamtheit eine ganze Stadt bildeten. Weil nun die eine Hälfte der Ebene höher lag als die andere, zerfiel diese Stadt in eine Ober- und eine Unterstadt. Dies nur der Lage nach. Ob auch in anderer Beziehung ein Unterschied zwischen beiden herrschte, war in der kurzen Zeit, die wir betrachtend auf sie hinblickten, nicht zu sehen. Die untere Stadt war dichter besetzt als die obere. Die letztere enthielt nur Zelte; in der ersteren gab es auch kleinere Blockhütten und weitläufige Holzbauten, deren Zweck wir nicht sogleich erkannten. Einige von ihnen schienen Lagerhäuser zu sein. Andere hatten das Aussehen von Hotels oder Restaurationen. Vielleicht waren es auch Versammlungshäuser. Vor den Zelten steckten die Lanzen ihrer Besitzer. Zwischen ihnen weideten die Pferde. Zahlreiche Feuer brannten, an denen gebacken und gebraten wurde, denn es war kurz über Mittagszeit. Es herrschte überhaupt ein reges Leben. Man sah keinen einzigen Weißen, nur lauter Rote. Die meisten von ihnen trugen indianische Kleidung. Ein großer Platz war zu Kampf- und Reiterspielen abgesteckt, ein anderer für Beratungen und andere öffentliche Angelegenheiten. Auf dem letzteren sah ich ungefähr zwanzig nebeneinanderliegende Sitzplätze, welche höher waren als der ebene Boden. Wahrscheinlich für das Komitee und andere hervorragende Personen. Es waren grad jetzt eine Menge Menschen dort, deren ganze Aufmerksamkeit auf uns gerichtet zu sein schien, denn die deuteten, sobald wir erschienen, zu uns herüber und sprachen auch sehr laut dabei.
    Grad vor uns ging eine uralte, steinerne Brücke über den Fluß, eine von der Art, daß man hüben hoch hinauf und drüben wieder tief hinunter muß. Solche Brücken eignen sich sehr gut zur Verteidigung des betreffenden Flußüberganges. Diese Stelle war also schon in uralter Zeit als eine geographisch und strategisch sehr wichtige betrachtet worden. Drüben auf der anderen Seite hielt eine Schar von Indianern zu Fuß. Sie sahen uns an, als ob sie auf uns warteten. Wir aber nahmen uns Zeit. Wir genossen den Anblick des grandiosen, unvergleichlichen Gebirgspanoramas und der hochinteressanten Staffage, welche sich innerhalb der gegebenen Riesenlinien klein und belanglos bewegte. Waren die Menschen früherer Jahrtausende vielleicht größer gewesen als die heutigen? Hierher gehörten doch eigentlich wohl Enakssöhne, die auf elefantengroßen Pferden reiten, und Fürsten, deren Throne bis in die Wolken reichen! Die Sonne stand hoch, scheinbar senkrecht über uns. Sie warf nur geringen Schatten um unsere Füße. Sie leuchtete in jeden Winkel, in jede Spalte und Ritze, in alles Verborgene. Kein Wölkchen stand am Himmel; kein Lüftchen ging vorüber, die Erde war hier so bedeutend, so hoch, so stark, so kerngesund. Ein Duft von Kraft und Willensfreude erquickte Auge und Herz. Hier oben war der rechte Platz für neue, gute und glückliche Menschheitsgedanken!
    Nun ritten wir weiter, die Brücke hinauf und hinunter. Drüben wurden wir sofort von den Roten umringt. Ja, sie hatten auf uns gewartet. Sie waren beauftragt, uns gefangenzunehmen. Ein

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