Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
04 - Winnetou IV

04 - Winnetou IV

Titel: 04 - Winnetou IV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
Tatellah-Satah für ihn zu verwenden. Ich versprach es ihm und ließ ihn laufen.
    Dann begab ich mich nach meiner Wohnung . Das Herzle war nicht da. Sie hatte einen Zettel zurückgelassen, durch den sie mir mitteilte, daß sie, weil ich mich nicht rechtzeitig eingestellt hatte, zu Tatellah-Satah gegangen sei und die Manuskripte mitgenommen habe. Wakon werde vorlesen; ich aber solle nachkommen. Das tat ich denn.
    In der Wohnung des ‚Bewahrers‘ angekommen, ging ich bis in sein Schlafzimmer. In dem daneben liegenden Passiflorenraum war es im Augenblick still. Darum öffnete ich die Tür nur leise. Grad als ich das tat, erklang die Stimme Old Surehands:
    „Ja, wahrhaftig, er war größer, viel größer, als wir alle! Viel größer, als wir dachten!“
    „Und ist darauf noch größer geworden, ohne daß wir es bemerkten!“ stimmte Apanatschka bei.
    „Wie steht es da mit Eurem Bild?“ fragte Athabaska.
    „Es ist zu klein, viel zu klein für ihn, und bauten wir es noch so hoch!“ rief Kolma Putschi aus.
    Und Aschta, die Mutter, fügte hinzu:
    „Wir wollen kein Bild von Stein! Wir wollen ihn selbst, ihn selbst in unsern Herzen! Die köstlichen Worte, die er soeben zu uns sprach, indem sie vorgelesen wurden, sollen in der Seele unserer Nation erklingen, fort und fort, für alle Zeit!“
    Da sah man mich unter der geöffneten Tür.
    „Du kommst zur rechten Zeit!“ begrüßte mich Tatellah-Satah. „Wir machten eine Pause; wir konnten nicht weiter, wir waren zu tief ergriffen; wir lasen seine Beschreibung deines Sieges über ihn und dann seinen Sieg über die sämtlichen Häuptlinge der Apatschen. Seine große Umkehr vom Kriegsgedanken zum Friedensgedanken, vom Haß zur Liebe, von der Rache zur Verzeihung. Das hat uns alle emporgehoben. Das hat den Vorhang aufgerollt. Nun sehen wir, was hinter ihm und hinter unsern winzigen Taten liegt. Das hat sogar Old Surehand, Apanatschka und ihre Söhne aufgerüttelt –“
    „Nicht aufgerüttelt“, fiel Young Apanatschka ein, „aber sehend gemacht, wenn auch noch nicht ganz. Ein Schleier ist gefallen. Ob der andere auch noch fällt, das wissen wir nicht. Man sagt uns, daß unsere Kunst eine äußere sei, eine Kunst ohne Seele und Gedanken, genauso wie unser Bild. Wir haben euch eingeladen, am morgigen Abend am Wasserfall unsere Gäste zu sein. Dort werden wir versuchen, den Stein durch Licht zu beleben. Gelingt es, dann gut; gelingt es nicht –“
    „Es gelingt!“ fiel ihm Young Surehand siegesgewiß in die Rede.
    Ich sah, daß ihm gleich einige widersprechen wollten, darum ergriff ich schnell das Wort:
    „Er hat recht; warten wir es ab!“
    „Ja, warten wir es ab!“ stimmte Athabaska mir bei. „Aber selbst wenn es gelänge, würde es nur ein belebter Rowdy sein, den wir zu sehen bekommen. Ein Rowdy, zum Angriff vorgehend, mit dem Revolver in der Hand; hier aber hat man einen andern, einen wirklichen Winnetou, der Geist, Gemüt und Adel besitzt und Geist, Gemüt und Adel von uns fordert. So wie er sollen auch wir nach oben streben, wir, seine ganze Rasse. Er nimmt uns mit; er zieht uns förmlich hinauf.“
    Indem er dies sagte, zeigte er auf das Winnetou-Porträt, welches wir Tatellah-Satah gegeben hatten. Dieser hatte es hier an das weiße Passiflorenkreuz geheftet und zu beiden Seiten die Bilder von Marah Durimeh und Abu Kital, dem Gewaltmenschen, aufgestellt. Das hatte, als die Anwesenden kamen und es sahen, einen großen, tiefen Eindruck gemacht, und diesem Eindruck war es unbedingt mit zuzuschreiben, daß die heutige Vorlesung eine so ungewöhnliche Wirkung hervorgebracht hatte. Es hätte eigentlich weitergelesen werden sollen; aber man hatte nun einmal aufgehört und kam nicht recht wieder in die erforderliche innere Ruhe hinein. Darum beantragte Old Surehand, für heut' Schluß zu machen, zumal von seiner Seite für den morgigen wichtigen Tag noch sehr viel vorzubereiten sei. Man ging darauf ein. Hierauf entfernten sich alle, und nur ich blieb mit dem Herzle bei Tatellah-Satah zurück.
    „Es war heut ein Sieg, ein großer Sieg“, sagte der letztere. „Als sie kamen und Euern nach dem Tod aufsteigenden Winnetou sahen, war das Schicksal des steinernen Bildes besiegelt. Selbst die beiden jungen Künstler nebst ihren Vätern und Kolma Putschi können sich dem nicht entziehen. Und sie sind ehrlich. Sie leugnen es nicht. Sie werden morgen am Schleierfall versuchen, ihre Idee zu retten; aber sie fühlen es schon heut und selbst nur zu gut, daß auch diese ihre

Weitere Kostenlose Bücher