04 - Winnetou IV
ohne aber ihren Verpflichtungen nachzukommen. Dadurch büßten die Clans ihren guten Ruf, ihre moralischen Kredite ein und somit auch die großen, sozialen Wirkungen, auf welche hin sie von ihren Gründern berechnet waren. Es blieb der Zukunft vorbehalten, ob sie überhaupt wieder aufleben würden oder nicht.
Immer waren die Clans nach Tieren benannt, niemals aber nach einem Menschen. Wenigstens ist es mir nicht erinnerlich, von einem solchen Fall gehört zu haben. Vielmehr war ein solches Beispiel jetzt soeben zum ersten Mal an mich herangetreten. Ein Clan mit dem Namen Winnetou! Denn daß es sich um einen Clan handelte, verstand sich ganz von selbst, und das Erkennungszeichen für die Zugehörigen war der zwölfstrahlige Stern, den der ‚Junge Adler‘ und Aschta an ihren Gewändern trugen. Wann war dieser Clan gegründet? Vor wenigstens vier Jahren. Denn so alt war der Anzug, den der ‚Junge Adler‘ jetzt trug. Dieser junge Indianer war der allererste, der in den neuen Clan aufgenommen wurde und zwar von Tatellah-Satah, der also der Gründer dieser Winnetou-Vereinigung war, deren männliche Mitglieder sich als ‚Winnetou‘ und die weiblichen sich als ‚Winnetah‘ bezeichnen durften. Welchen höheren Zweck hatte dieser Clan? Und welche Verpflichtungen legte er seinen Mitgliedern auf? Ich fragte nicht, denn ich hoffte, es sehr bald zu erfahren. Daß seine Ziele eminent waren, konnte man schon aus der Stammesangehörigkeit der beiden Mitglieder ersehen, die ich jetzt kannte: ein Apatsche und eine Sioux Ogellallah, also zwei Nationen angehörig, die sich unbedingt als Todfeinde zu betrachten hatten! –
Während des Kaffeetrinkens sagte uns Pappermann, daß wir heute Abend die Devils pulpit erreichen würden. Er bat nur um eine Stunde Aufenthalt hier am Kanubisee, um sich da wieder einmal umsehen zu können. Dagegen hatten wir nichts. Wir hätten ihm sehr gern noch viel länger Zeit gegeben. Aber die Stunde war noch nicht vorüber, so kehrte er von seinem Rundgang schon zurück und sagte:
„Wollen aufbrechen, wenn es Euch recht ist! Und wenn ich noch länger hier herumkrieche, so finde ich doch mehr Bitterkeiten als Süßigkeiten, und das brauche ich mir alten Kerl doch wohl nicht anzutun!“
Recht hatte er. Auch dieser Kanubisee war schön, sehr schön, aber seine Wasser hatten für uns keinen frohen, sondern einen mehr als elegischen Schimmer, und so blieb er in unserer Erinnerung nur als der Ort einer kurzen Rast, auf welche neue Wanderung zu folgen hatte. Wir ritten in das Tal des Purgatorio hinab und folgten dort einem schmalen, kristallklaren Wasser, welches uns nach unserm Ziel zu führen hatte. Wir erreichten es, doch erst dann, als es bereits fast dunkel war, so daß ich vorschlug, lieber heut noch außerhalb des Bereiches der ‚Teufelskanzel‘ zu bleiben, weil wir vor diesem Ort gewarnt worden waren und wegen der Dunkelheit keine Zeit mehr hatten, ihn auf die Anwesenheit von feindlichen Indianern hin vorher zu untersuchen.
„Well!“ sagte Pappermann. „So führe ich Euch nach einem Versteck, welches wohl kein Roter, und habe er noch so gute Augen ausfindig machen wird. Ich fand es nur durch Zufall und glaube nicht, daß es jetzt außer mir einen Menschen gibt, der es kennt.“
„Das ist viel gesagt!“ bemerkte ich.
„Aber jedenfalls richtig!“ antwortete er. „Wir haben nur noch wenige Schritte zu reiten und dann einem kleinen Seitenwässerchen zu folgen, welches aus einem stillen, verborgenen Weiher quillt. Dieser Weiher ist nicht groß. Hohe Felsen, die man nicht ersteigen kann, umgeben ihn. Diese Felsen haben keine Lücke; nämlich so scheint es. Aber wenn man gerade durch den Weiher bis zur gegenüberliegenden Seite reitet, macht man die Bemerkung, daß es doch eine Seitenspalte gibt, die schief hindurchschneidet und nach dem eigentlichen Quell des Wassers führt, welches nicht im Weiher entspringt, sondern weiter drin, eben da, wo wir übernachten werden.“
„Ist die Lücke breit genug für unser Gepäck?“ erkundigte ich mich.
„Ja“, antwortete er. „Nur die Zeltstangen habe ich lang zu packen, anstatt quer.“
„Und wie tief ist der Weiher?“
„Höchstens einen Meter.“
„Damals!“
„Hm! Meint Ihr etwa, daß er tiefer geworden ist? Das habe ich in meinem Leben noch nicht gehört. Stehende Wasser pflegen mit der Zeit seichter zu werden, aber doch nicht tiefer. Doch halt! Da sind wir am Seitenwässerchen! Werde hier also umpacken. Dann reiten wir nach dieser
Weitere Kostenlose Bücher