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sein Hemd auf. Aber den Glanz in seinen Augen konnte er nicht verbergen, genauso wenig wie, ähem .. , sein plötzliches Interesse. „Der Staat von Minnesota missbilligt vorsätzliche Tötung."
„Der Staat von Minnesota würde sicher fast alles missbilligen, was in diesem Hause vor sich geht." Ich zog mir die Socken mit Erdbeermuster von den Füßen und warf sie in die Luft. „Los geht's, Partner."
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„Sie halten sicher auch nicht viel von Selbstmord", sagte er gehässig, aber dann küsste er mich wieder und von dem Rest habe ich dann nicht mehr viel verstanden.
„Was sollst du noch mal machen?", wisperte Jessica.
„Das habe ich dir bereits dreimal gesagt. Jesses, hörst du mir eigentlich zu?"
„In deinem Leben geht so viel Unwichtiges vor, dass ich Prioritäten setzen muss."
„Was soll das heißen? Dass ich wie die Sechs-Uhr-Nachrichten bin?"
„Genau!" Sie ließ sich einfach nicht provozieren. „Manchmal ist es schwer, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen."
Wieder einmal waren wir im Auftrag eines Geistes unterwegs. Vorgestern Abend hatte die tote Annie ihren Kopf durch meine Zimmertür gesteckt und mich so lange mit zittriger Stimme bekniet, „diese alte Sache", wie sie es nannte, aus der Welt zu schaffen, bis ich endlich eingewilligt hatte.
Anscheinend wurde ich immer mehr zu einer Art „Geister-Notdienst".
„Sehr nett! Hier ist es . . hundertzehn, hundertelf, hundertzwölf." Wir blieben vor einer geschlossenen Tür stehen, die, wie alle Pflegeheimtüren, mit angeklebten Grußkarten und anderem Zeugs versuchte, heimelig auszusehen, aber damit nur das Gegenteil erreichte. Trotz aller lobenswerten Versuche: Es sah aus, roch und fühlte sich an wie ein Krankenhaus.
Ich klopfte leise und drückte gegen die Tür, als ich keine Antwort hörte. Als sie sich auf ihren pneumatischen Scharnieren öffnete, machte sie ein keuchendes Geräusch. Auf der Kante des hinteren Bettes konnte ich eine alte Frau sitzen sehen.
Sie lächelte, als sie uns sah. Ihr Zahnfleisch sah aus wie das von Baby Jon.
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„Äh, hallo", sagte ich und schlich mich ins Zimmer wie ein Dieb. „Ich heiße Betsy. Das ist Jessica."
Sie hielt eine Hand hinter ein Ohr. Sie sah aus wie jeder andere alte Mensch in Minnesota, den ich je gesehen hatte: weißhaarig, blauäugig, dünn und faltig.
Sie trug eine von diesen Altefrauenstrumpfhosen, die bis zum Knie hinuntergerollt waren, und einen verwaschenen, hochgeschlossenen Hausmantel.
„Hmmm?", fragte sie.
„Ich sagte . ." Ich rückte ein wenig näher. Die Tür hinter uns schloss sich seufzend. Gott sei Dank. Ein winziges bisschen Privatsphäre. „Ich heiße Betsy.
Und das ist Jessica."
„Hmmm?"
Na toll. Ich lehnte mich vor, bis auf Kussnähe. Sie roch streng nach Apfelsaft, was schreckliche Erinnerungen an die Zeit lebendig werden ließ, als ich ehrenamtlich in einem Krankenhaus gearbeitet hatte. Und Gott allein weiß, wie ich damals gerochen habe. Wahrscheinlich wie der Engel des Todes.
„Annie schickt mich", brüllte ich. „Sie lässt Ihnen sagen .. "
Sie beugte sich zu mir. Jetzt waren wir nur wenige Millimeter von einem tatsächlichen Kuss entfernt. „Hmmm?"
,Annie lässt Ihnen sagen, dass es nie eine Karte gegeben hat!", schrie ich. Jessicas Gekicher beachtete ich gar nicht. Super! Vielleicht hatten ein paar der Schwestern im ersten Stock den ersten Teil dieser extrem vertraulichen Unterhaltung noch nicht mitbekommen. ,Aber es gab ein Konto und hier haben Sie alle Informationen, um Zugang zu bekommen." Ich reichte ihr ein gefaltetes Blatt Papier.
„No se .. " Sie schüttelte den Kopf. „No se, no se."
„Ach, verdammte Scheiße." Ich widerstand dem Drang, das Bett durch das Fenster zu treten. „Davon hat Annie nichts gesagt."
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Jessica lag fast unter dem Bett und hielt sich den Bauch vor hysterischem Gelächter. „Lauter, lauter! No sei"
„Hättest du die Güte, aufzustehen und mir zu helfen?"
„Du weißt doch, ich hatte Französisch in der Schule."
„Vielen Dank für deine überaus nutzlose Hilfe. Du bist wahrscheinlich die schlechteste Freundin, die es je gegeben hat. Was soll ich denn jetzt machen?"
Zu meinem Glück war die alte Dame - Herrgottnochmal, ich musste mir selbst vor Augen führen, dass sie ein menschliches Wesen war, dass sie einen Namen hatte (Emma Pearson) - nicht auch noch blind. Während ich Jessica anpfiff, hatte Emma das Papier, das ich ihr gegeben hatte, auseinandergefaltet, und auf ihrem Gesicht erschien ein breites,
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