040 - Die Tochter der Hexe
Aber ich brauchte einen klaren Kopf, jetzt mehr denn je.
Gleich darauf fand ich eine Haustür. Sie lag unterhalb der Hofhöhe und führte vermutlich in den Keller. Sie war ebenfalls verschlossen. Aber daneben befand sich ein Fenster in bequemer Höhe zum Einsteigen.
Ich hatte in dieser Nacht ja schon Übung im Einschlagen von Scheiben. Aber diesmal mußte es so lautlos wie möglich gehen. Ich wickelte wiederum die Jacke fest um meinen Arm. Dann drückte ich gegen die Scheibe, nach einem starken Ruck barst sie klirrend. Die Splitter fielen ungeheuer laut ins Innere. Ich drückte mich eng an die Wand und hielt den Atem an.
Nichts regte sich. Nach einer Weile atmete ich auf. Diese alten Steinmauern waren nicht mit den dünnen Wänden der Neubauten zu vergleichen. Hier konnte man noch Partys feiern, ohne die Nachbarn zu wecken!
Vorsichtig griff ich hinein und tastete nach dem Riegel. Er ließ sich mühelos bewegen. Weitere Splitter fielen, als ich das Fenster öffnete und hineinstieg.
Ich wagte kurz die Taschenlampe einzuschalten. Ich befand mich in einer Werkstatt, wie sie ein Tischler oder ein Schnitzer haben mochte. Es roch nach Holzleim und Sägemehl.
Der Raum hatte einen Ausgang. Die Tür war nicht verschlossen. Das hielt ich nicht nur für ein gutes Omen, das gab mir auch eine Menge Auftrieb. Sie öffnete sich ein wenig knarrend, was mir Herzklopfen verursachte. Ich schlich einen kalten Korridor entlang und erreichte eine Treppe. Diese endete vor einer eisenbeschlagenen Tür, die zudem noch verschlossen war und meinem zügigen Vormarsch vorerst ein Ende setzte.
Ich war im Keller eingeschlossen. Was nun?
Ich konnte zurück in den Hof gehen und einen anderen Weg in das Haus suchen. Aber das sah nicht erfolgversprechend aus. Sollte ich hier warten, bis jemand in den Keller kam? Dazu war ich zu ungeduldig. Außerdem mochte das auch erst morgen sein.
Während ich noch überlegte, nahm mir das Schicksal die Entscheidung ab. Schritte näherten sich der Tür. So leise ich konnte, eilte ich die Stufen hinab und ging in Deckung, geschützt von einer Säule und einem alten Möbelstück, das sich in der Dunkelheit nicht identifizieren ließ.
Oben knarrte die Tür. Licht flammte hell auf. Verdammt, sie mußten mich sehen, wenn sie vorbeikamen!
„Vorsicht, gnä’ Frau“, sagte eine Mädchenstimme.
„ Haltmich ordentlich, dummes Ding“, antwortete eine ältere weibliche Stimme. „Und du auch, Luvia.“
„Verzeihung“, erwiderten zwei Mädchenstimmen hastig.
Dann kamen sie herab geschritten, und ich drückte mich ganz dicht an die Mauer.
Sie blickten nicht in meine Richtung, und ich sah sie nur von hinten. Sie trugen alle drei schwarze, bodenlange Kleider, hochgeschlossen und mit langen Ärmeln. Die alte Dame in der Mitte hatte einen dünnen Schal um ihren Kopf. Die beiden Mädchen, die sie sorgsam führten, schienen sehr jung zu sein.
Sie traten in den Korridor, aus dem ich gekommen war. Nun im Licht erkannte ich zwei weitere Türen. Vor einer hielten sie, und die alte Dame sperrte auf. Sie öffnete die Tür und schob die Mädchen vor sich her. „Vorwärts“, kommandierte sie.
Die Tür blieb einen Spalt offen, als sie alle drei drinnen waren. Ich wartete eine Weile und lauschte ihren Stimmen, die gedämpft zu mir drangen. Ich konnte nicht verstehen, was sie sagten, aber ich hatte den Eindruck, daß die Alte Befehle gab. Meine Neugier wurde bald so groß, daß ich mir ein Herz faßte und näher schlich.
Viel sehen konnte ich nicht, denn der Raum war nur von ein paar Kerzen erhellt. Die drei Gestalten standen über einen Tisch gebeugt, auf dem etwas aufgebaut war, das einer Modellbauanlage nicht unähnlich sah – es sah aus wie eine Burg. Deshalb die Tischlerei, dachte ich und hatte das Gefühl, zu einer Bastelstunde zurechtgekommen zu sein. Die Alte schien die beiden Mädchen zu unterrichten – und zu dieser Nachtzeit bestimmt nicht im Basteln, das war mir klar.
„Ist sie tot?“ hörte ich eines der Mädchen fragen.
„Wir werden es bald wissen“, antwortete die Alte.
„Niemand hält das aus, wenn er sich nicht schützen kann, nicht wahr, gnädige Frau?“ fragte die zweite.
„Es ist gut, wenn du das nicht vergißt, Tavala. Nur wir, die wir an Liliths Altären stehen, kennen den Schutz“, erwiderte die Frau. „Und jetzt sprich dein Gebet, und dann wollen wir sehen, wie gut du deine Lektion gelernt hast. Und du öffnest das Fenster, Luvia, damit wir hören, wie erfolgreich unsere Schwester
Weitere Kostenlose Bücher