040 - Paris, Stadt der Sünde
waren, genau wie dieses gefährlich trügerische Gefühl des tiefen Friedens, dem er sich letzte Nacht hingegeben hatte.
Sie war ohne ihn weit besser dran. Seine Hände und seine Seele waren mit Blut besudelt, und es gab nichts, womit er sich reinwaschen konnte.
Rohan lehnte sich in die Lederpolster zurück. Aus der Ferne drang der Lärm der Festlichkeiten zu ihm herüber, die ausschweifenden Orgien waren in vollem Gang.
Und er schloss die Augen und fluchte gotteslästerlich.
Elinor wich von der Tür zurück. „Du kannst sie nicht behandeln wie eine deiner Huren“, hatte Charles gesagt.
Und Rohans niederschmetternde Antwort: „Aber mein lieber Charles, nichts anderes habe ich getan. Und ich kann dir versichern, es hat ihr durchaus Spaß gemacht. ...
Schließlich sehe ich keine Veranlassung, ihr für eine einzige Nacht lebenslang Unterhalt zu bezahlen.“
Sie hatte gelauscht, bis sie es nicht länger ertragen konnte. Jedes Wort hatte sie getroffen wie ein Peitschenhieb, bis sie glaubte, sterben zu müssen unter den grausamen Schlägen. Sie taumelte rückwärts, zu betäubt, um weinen zu können, bis sie gegen jemanden stieß.
Gereizt fuhr sie herum, um ihre ohnmächtige Wut an dem ersten Pechvogel auszlassen, der ihr begegnete. Stattdessen blickte sie in das freundliche Gesicht ihres Cousins.
„Cousin Marcus“, sagte sie verblüfft. „Was tun Sie denn hier?“
Er gab ihr mit einem Wink zu verstehen, ihm in eine Mauernische zu folgen, wo sie niemand sehen und hören konnte. „Liebste Elinor. Ich komme Ihretwegen. Ich weiß, dass Rohan Sie hier festhält, und möchte Ihnen zur Flucht verhelfen. Gestern ließ ich durch einen Diener einen Umhang und Stiefel in Ihr Zimmer schmuggeln, und meine Kutsche wartete auf Sie, aber Sie sind nicht gekommen.“
„Sie waren das?“, fragte sie verwirrt.
„Natürlich war ich es“, versicherte er. „Was hätte ich sonst an diesem schrecklichen Ort zu suchen? Wissen Sie, dass Ihr Gastgeber gestern Nacht einen Mann ermordet hat?“
Das Blut an seinem Hemd, an ihrem nackten Körper. „Das hat er getan?“
„Unter dem Vorwand eines Duell, aber es war eine glatte Hinrichtung. Der bedauernswerte Mann war ihm völlig unterlegen, er war nur zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort. Rohan war rasend vor Zorn, wollte unbedingt Blut sehen, und dieser Unglückliche war der Erste, dem er begegnete.“
Und ich war der zweite Mensch, dachte sie dumpf. Sie blickte in das hübsche Gesicht ihres Cousins mit der Harriman-Nase. „Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mich von hier wegbringen“, bat sie tonlos.
„Das tue ich, Cousine. Ich habe Ihnen einige Dinge zu sagen, die Sie interessieren werden, und möchte Ihnen einen Vorschlag machen, der Ihnen gefallen könnte.“
„Ich muss zu meiner Schwester“, erklärte sie und bemühte sich, ihm ihre Verzweiflung nicht allzu deutlich zu zeigen.
„Das verstehe ich sehr gut, Cousine Elinor. Darüber sprechen wir später. Kommen Sie.“
Sie trug Rohans pelzgefütterten Mantel. Der grobe Wollumhang wäre ihr lieber gewesen, aber der war verschwunden. Sie zog den kostbaren Pelz fest um ihre Schultern. „Ja“, sagte sie entschlossen und legte ihre Hand in die seine. „Ja.“
23. KAPITEL
Lydia saß am Fenster und blickte trübsinnig in den grauen Tag. Sie hatte gelernt, nicht zu weinen, um Elinor nicht noch mehr Kummer zu bereiten. Im Übrigen halfen Tränen nichts, sie brachten Nanny Maude nicht zurück, machten den schrecklichen Brand und den qualvollen Tod ihrer Mutter nicht ungeschehen und führten auch Elinor nicht zu ihr, nach der sie sich schmerzlich sehnte. Tränen waren reine Zeitvergeudung. Sie wollte vor Mrs Clarke und Janet keine Schwäche zeigen, die sie so wohlwollend aufgenommen hatten und gütig behandelten.
Und im Grunde genommen bestand kein Anlass, sich um Elinor Sorgen zu machen.
Lord Rohan würde bei all seinem herrischen Auftreten gut zu ihr sein. Lydia wollte und durfte keine allzu großen Hoffnungen hegen, aber wenn Elinor wenigstens ein wenig Glück in ihrem leidvollen Leben erhaschen könnte, wäre Lydia zufrieden.
Allerdings wäre es mehr als verstiegen, darauf zu hoffen, dass ein leichtfertiger Lebemann wie Rohan ihr Glück bringen könnte. Würde sie zu Fatalismus neigen, müsste sie sich große Sorgen um die Zukunft ihrer Schwester machen.
Lydia besaß indes eine seltene Gabe, nämlich eine nahezu unfehlbare Menschenkenntnis. Sie konnte instinktiv zwischen Gut und Böse
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