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040 - Paris, Stadt der Sünde

Titel: 040 - Paris, Stadt der Sünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Stuart
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gehofft, Charles Reading würde in letzter Sekunde in die Kutsche springen. Doch nur Etienne hatte sie beinahe täglich besucht und ihr bei Tee und Gebäck in langatmigen Ausführungen erklärt, auf welch schändliche Weise Viscount Rohan ihn um seine Geburtsrechte gebracht hatte. Vermutlich hatte er von ihr erwartet, ihre Entrüstung über diese Ungerechtigkeit zu äußern. Aber sie hatte sich lediglich geduldig seine Klagen angehört und an den richtigen Stellen mitfühlende Bemerkungen gemurmelt, bis Etienne sich allmählich beruhigt und gelegentlich sogar gelächelt hatte.
    Bescheidene Zurückhaltung war ja auch die angemessene Rolle einer Frau. Etienne hatte den Beruf des Arztes gewählt, um kranken Menschen zu helfen, und sie konnte ihn unterstützen, ihm den Rücken stärken, ihn beschwichtigen, ihm die Bitterkeit nehmen, ungerecht behandelt worden zu sein.
    Bloß hatte sie nicht den Wunsch, diese Rolle zu spielen.
    Doch ihre Wünsche zählten nicht. Sie hatte nie viel für Elinor tun können, ihr nichts von der Last ihrer Verantwortung für Lady Caroline von den Schultern nehmen können. Und trotz Elinors Bemühungen hatte ihre Mutter nur Augen für Lydia gehabt, weil ihr Hass gegen Lord Tolliver sich auf seine Tochter übertragen hatte – was nichts an der Tatsache änderte, dass ihr Verhalten grausam und böse war. Dafür hatte Lydia ihre Mutter immer verabscheut.
    Nun konnte sie sich ihrer Schwester endlich erkenntlich zeigen, was sie von Herzen gerne tun wollte.
    Sie hatte ihre Zimmertür einen Spalt offen gelassen, durch den Mrs Clarke nun den Kopf hereinstreckte, und ihr gütiges Gesicht strahlte. „Sie haben Besuch, Schätzchen.“
    Lydia erhob sich. Etienne hatte doch gesagt, er könne heute nicht kommen, in einem bedauernden Ton, als mute er ihr zu, auf ein großes Vergnügen verzichten zu müssen. Sie hatte natürlich ihr Bedauern ausgedrückt, sie kannte ihre Pflicht. Nun fuhr sie sich glättend über den Rock eines der hübschen Kleider, die Rohan ihr geschenkt hatte, setzte ein gewinnendes Lächeln auf und folgte Mrs Clarke die breite Marmortreppe hinab.
    Das seltsame Château war in zwei Hälften geteilt, wovon ein Teil verschlossen blieb, und Mrs Clarke hatte sie davor gewarnt, in dem verbotenen Trakt herumzuwandern.
    Worauf ihre Fantasie wilde Blüten trieb und sie versucht hatte, durch die hohen Fenster zu spähen, wenn sie im Garten spazieren ging. Aber es hatte alles enttäuschend normal ausgesehen, lediglich etwas zu prunkvoll und protzig im Vergleich zum restlichen Haus, das elegant, aber behaglich eingerichtet war.
    „Der Herr wartet in der Bibliothek, Miss“, sagte Mrs Clarke, immer noch lächelnd. An der Tür zögerte Lydia, konnte sich Mrs Clarkes Freude eigentlich nicht erklären, da Etienne die Haushälterin stets schroff und unfreundlich wie eine Dienstmagd behandelte.
    Sie holte tief Atem und öffnete die Tür. „Etienne, ich dachte, Sie hätten heute keine Zeit ...“ Die Worte erstarben auf ihren Lippen. Charles Reading drehte sich zu ihr um, und Lydia blieb wie versteinert stehen.
    „Ich muss Sie enttäuschen. Ich bin nicht Etienne“, sagte er, und ein resigniertes Lächeln verzerrte seinen vernarbten Mund.
    Gütiger Himmel, dachte sie und schluckte. Wie sollte sie diese Begegnung überstehen? Noch vor einer Sekunde hatte sie geglaubt, Charles Reading nie wieder zu begegnen, nie wieder allein mit ihm zu sein, nie wieder in seine dunklen, unergründlichen Augen zu blicken. Und nun stand er leibhaftig vor ihr.
    „Warum ... warum sind Sie hier?“, stammelte sie. „Vergeben Sie mir, ich bin unverzeihlich unhöflich. Es ist nur ... diese Überraschung. Soll ich Mrs Clarke bitten, uns Tee zu bringen? Sie haben eine lange Reise hinter sich. Vielleicht einen kleinen Imbiss? Es macht keine Umstände, glauben Sie mir, ich muss nur ...“
    Während sie gedankenlos drauflosplapperte, eilte er ihr in langen Schritten entgegen und nahm ihre Hand. „Still“, sagte er leise. „Still, Lydia.“
    Fassungslos blickte sie zu ihm auf, und plötzlich wurde sie von Grauen erfasst. Er hatte sie beim Vornamen genannt, das konnte nichts Gutes bedeuten. „Ist Elinor etwas zugestoßen? Geht es ihr gut?“
    „Sie ist wohlauf. Rohan lässt sie gehen, und ich dachte, ich frage Sie, ob Sie nach Paris zurückkehren wollen.“
    „Wie? Er lässt sie gehen?“ Das Grauen verwandelte sich in Schmerz. Elinor liebte ihn.
    Das wusste Lydia so gut, wie sie ihr eigenes Herz kannte. Sie hatte sich ein

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