040 - Paris, Stadt der Sünde
schlug wild um sich und überschüttete ihn kreischend mit grässlich vulgären Flüchen.
Mühsam wehrte Marcus ihren Angriff ab und wich taumelnd zurück. Elinor nahm ihn beim Arm und zog ihn aus dem Zimmer. „Ich sagte doch, es geht ihr sehr schlecht, sie weiß nicht mehr, was sie tut“, entschuldigte sie sich hilflos.
Marcus blutete, ihre Mutter hatte es geschafft, ihm das Gesicht zu zerkratzen. Elinor zog die Tür hinter sich zu, doch das irre Gezeter drang bis in den Flur, vermischt mit Nannys beruhigenden Worten. Elinor erwartete beinahe, er würde empört und voller Abscheu aus dem Haus stürmen, aber er sah sie nur mitleidvoll an.
„Armes Mädchen.“
Beinahe wäre sie in Tränen ausgebrochen. Beinahe. Diese Schwäche hatte sie sich nur einmal in Gegenwart des verabscheuenswertesten Menschen auf der ganzen Welt gestattet, eine Blöße, die sie sich nie wieder geben würde.
„Wir kommen zurecht“, wehrte sie schroff ab. „Der Arzt meint, ihre Tage sind gezählt, und ihre Tobsuchtsanfälle sind ein Zeichen dafür, dass ihr Ende naht. Nanny Maude ist rührend um sie besorgt, und Lydia und ich kommen alleine zurecht.“
„Und Ihr Vater hat Ihnen nichts hinterlassen? Wie verantwortungslos!“
Sie brachte ein dünnes Lächeln zustande. „Darüber sind Sie besser informiert als ich, Sir. Vermutlich ging der gesamte Landbesitz in die Erbfolge, und er hat es versäumt, an seine Kinder zu denken.“
Cousin Marcus machte ein betretenes Gesicht. „Ehrlich gestanden, glaube ich nicht, dass Ihre Schwester tatsächlich ...“
„Meine Schwester kam in der Ehegemeinschaft meiner Eltern zur Welt und ist dem Gesetz nach ein legitimes Kind“, erklärte Elinor aufbrausend.
„Sie scheinen sich mit der Rechtslage gut auszukennen. Sie sind eine gebildete Frau.
Eigentlich verwunderlich bei Ihrer unsteten Kindheit.“
Elinor widerstand dem Wunsch, ihn mit schneidenden Worten zurechtzuweisen, vermutlich hatte er sie nicht absichtlich gekränkt. „Ich lese gerne, und Lesen bildet“, erklärte sie knapp.
„Und Sie sind eine intelligente Frau. Eine bewundernswerte Eigenschaft in diesen oberflächlichen Zeiten. Ich für meinen Teil ziehe die Gesellschaft einer älteren Frau mit Geist und Verstand einem flatterhaften hübschen Gänschen vor, das nichts als Flausen im Kopf hat.“
Sie lächelte verkrampft. „Zu gütig“, sagte sie zähneknirschend. „Ich fürchte, Nanny hat im Moment keine Zeit, uns Tee aufzubrühen.“ Das irre Kreischen hatte immer noch nicht aufgehört, und Cousin Marcus setzte eine gequälte Miene auf.
„Sie machen eine sehr schwere Zeit durch. Ich besuche Sie wieder, wenn die Dinge sich etwas beruhigt haben ...“ Er drängte bereits zur Haustür.
„Aber Sie haben mir noch keine Auskunft über die Hinterlassenschaft meines Vaters gegeben. Und Sie bluten im Gesicht. Lassen Sie mich wenigstens Ihre Wunden versorgen, bevor Sie sich in die Öffentlichkeit wagen“, wandte sie ein.
„Wir können alle Einzelheiten zu einem späteren Zeitpunkt besprechen“, entgegnete er und betupfte sich die Wange mit einem Spitzentüchlein. „Wie Mr Mitchum Ihnen bereits mitteilte, handelt es sich nur um ein kleines Vermächtnis. Aber ich werde den Wünschen Ihres Vaters nachkommen, so gut ich es vermag.“ Er wartete nicht auf Jacobs Erscheinen, um die Tür zu öffnen. Bereits halb im Freien, rief er über die Schulter: „Adieu, liebe Cousine.“
Sie blickte ihm nach. Er hatte eine tadellose Haltung, trug Stiefel, keine eleganten hochhackigen Schuhe, wie Rohan sie bevorzugte. Und wenn er eine Winzigkeit zu großspurig auftrat, war das zweifellos sein gutes Recht. Mit der Erbschaft hatte er es zur Peerswürde im Königreich gebracht, ein kräftiger, gut aussehender Mann in besten Jahren. Er hatte allen Grund, stolz auf sich zu sein.
Sie schloss die Haustür. Das Geschrei ihrer Mutter war endlich verstummt. Elinor huschte leise den Flur entlang und öffnete die Tür zum Krankenzimmer einen Spalt.
Lady Caroline war wieder in einen benommenen Halbschlaf gesunken. „Meinst du, wir sollen sie wieder ans Bett binden?“, fragte sie Nanny Maude im Flüsterton.
Die treue alte Seele machte ein betrübtes Gesicht. „Nicht nötig“, sagte sie. „Nach einem Anfall sinkt sie in einen Tiefschlaf. Sie wird sich tagelang nicht rühren und nicht sprechen. Wer war dieser Gentleman gleich wieder?“ Sie wechselte abrupt das Thema.
„Ich habe ihn dir doch vorgestellt. Unser Cousin Marcus Harriman.“
„Von
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