0405 - Mit Blut geschrieben
völlig Überraschten eine Ohrfeige. Der Knabe schaute so dumm aus der Wäsche, dass selbst Tschigin lachen musste. Er stellte einen anderen zur Bewachung der Horror-Oma ab.
Wladimir Golenkow erhielt die Aufgabe, Suko und mich zu entwaffnen. Das war gut so, er nahm uns nur die Berettas ab, die anderen Dinge konnten wir behalten.
Bevor wir abgeführt wurden, rief Tschigin uns noch etwas nach.
»Die Zellen sind nicht geheizt. Hoffentlich frieren Ihre Gedanken nicht ein. Außerdem werden Sie, Sinclair, das Vergnügen haben, in der Todeszelle zu sitzen. Wenn es ein Geist war, wie Sie ja immer glauben, kann es sein, dass wir bald auch Ihre Leiche finden.«
Ich ersparte mir eine Antwort. Von zwei Soldaten wurden wir abgeführt. Wladimir blieb zurück. Wir gelangten auf Umwegen und durch düster wirkende Flure in einen Teil des Klosters, wo die Schüler untergebracht waren.
Zuerst erreichten wir meine Zelle. Ich musste die Tür aufreißen und wurde über die Schwelle gedrückt. Man rammte sie so schnell und hart hinter mir zu, dass sie mir fast ins Kreuz gedonnert wäre.
An einem Tisch hielt ich mich fest.
Es war düster. Durch das schmale Fenster fiel nur schwach das Tageslicht. Eine so karge Zelleneinrichtung hatte ich selten gesehen.
Da lebten unsere Gefangenen in den Zuchthäusern und Gefängnissen noch komfortabel.
Ich fand keinen Stuhl. Wahrscheinlich hatte man ihn entfernt. So musste ich mich auf die Kante des muffig riechenden Lagers setzen, das verdammt hart war.
Ich lauschte zur Tür hin. Noch hörte ich Schritte, das Schlagen von Türen, dann wurde es still.
Meine Situation war zwar mehr als bescheiden, aber ein trockenes Lachen konnte ich mir trotzdem nicht verkneifen. Wenn mir am gestrigen Tag jemand gesagt hätte, dass ich vierundzwanzig Stunden später in der Zelle einer russischen KGB-Schule sitzen würde, den hätte ich ausgelacht. Es war nun mal so, und ich konnte nichts daran ändern.
Wie würde es weitergehen?
Auf diese Frage konnte ich mir selbst eine Antwort suchen. Ich jedenfalls war der Gefangene. Umgeben von vier Wänden und einem schmalen Fenster, durch das höchstens ein Zwerg gepasst hätte. Die Mauern waren dick, nicht zu durchbrechen. Ein wenig fühlte ich mich wie der Graf von Monte Christo, den man auch in einen Kerker geworfen hatte, damit er dort verschimmelte.
Ich würde nicht so lange bleiben, denn Tschigin, dieser Widerling, wollte sicherlich etwas wissen.
Verhör nannte er das. Wenn er da Erfolge hatte, konnte er sich einen Orden an die Brust heften.
Meine Zigaretten hatte man mir gelassen. So zündete ich mir zunächst einmal ein Stäbchen an. Den Rauch blies ich in Richtung Fenster, wo sich die grauen Wolken verteilten. Ich dachte über den Mordfall nach, der sich hier ereignet hatte.
Einen der Schüler hatte es also erwischt. Aber aus welchem Grund? Wer kam als Killer in Frage?
Tatsächlich ein Außenstehender, ein Geist oder Dämon, für den dicke Mauern kein Hindernis darstellten?
Rechnen musste ich damit. Ich glaubte nicht daran, dass die eigenen Kollegen jemanden aus ihrer Mitte umbrachten. So dumm war keiner von ihnen. Die Asche fiel ab, ich nahm noch einen Zug und trat die Zigarette auf dem Steinboden aus.
Als ich mich erheben wollte, um die Zelle zu durchsuchen, spürte ich das scharfe Brennen auf der Brust.
Mein Kreuz!
Ich zog es hervor, legte es auf meine Handfläche und sah dorthin, wo sich die vier Balken trafen. Mein Blick wurde von dieser Stelle magisch angezogen.
Noch immer zeichnete sich das Gesicht des Fürsten Rasputin dort ab. Seine Züge waren genau zu erkennen, das lange Haar, das wie Fetzen wirkte, die seinen Kopf umrahmten.
Und ich sah das Grinsen auf seinem Gesicht, wobei sich gleichzeitig die Lippen bewegten.
»Willkommen in meinem Kloster, John Sinclair!«
***
Er, Rasputin, hatte die Worte gesprochen. Sie waren leise, flüsternd und gleichzeitig so laut, dass ich das Gefühl hatte, als würden sie aus Boxen dringen, die überall im Raum verteilt standen. Ein Partner aus dem Reich der Geister hatte mit mir gesprochen, wobei ich mich fragte, ob diese Person tatsächlich zu meinem Partner werden konnte.
Ich antwortete zunächst nichts, aber ich erkannte, dass sich die Konturen des Gesichts schärfer hervorhoben, als hätten sie vorgehabt, das Kreuz zu verlassen.
Es gab nur ihn und mich. Um uns herum war es still geworden.
Auch von außen her drangen keine Geräusche in die Zelle. Er wollte etwas von mir, und so wartete ich ab, bis
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