0406 - Finale in der Knochengrube
gefährlichen Augen schauen konnte.
»Was willst du?«, brüllte sie plötzlich los und sprang zur Wand hin, wo ihr Lager stand.
Der Vogel konnte keine Antwort geben. Er wühlte weiter, zog seinen Schnabel zurück, um ihn anschließend als Messer einzusetzen, denn er begann damit, das Dach zu zerstören.
Mit einer gnadenlos anmutenden Präzision hackte er das Loch immer größer, sodass es nur eine Frage von Sekunden war, wann auch der Körper hindurchpasste und er womöglich mit dem gesamten Dachaufbau in die Tiefe stürzte. Lara konnte es nicht verhindern, aber sie wollte auch nicht das Opfer werden, duckte sich wieder tiefer und zog sich vorsichtig in Richtung Hüttentür zurück.
Den hackenden und wühlenden Leichenvogel behielt sie dabei im Auge.
Er hatte Augen, aber er tat so, als würde er sein Opfer nicht sehen.
Wann war er durch?
Darauf wartete Lara nicht. Ein letzter Sprung brachte sie über die Schwelle.
Dass sie vom Regen in die Traufe geraten war, merkte sie einen Moment später. Nichts hatte sie gewarnt, aber sie hätte damit rechnen können, dass der zweite Vogel irgendwo lauern konnte.
Er hatte die Deckung des Nebels geschickt ausgenutzt, befand sich hinter Lara und hüpfte mit halb ausgebreiteten Flügeln und einer grotesk anmutenden Bewegung auf sein Opfer zu, wobei er gleichzeitig beide Schnabelhälften öffnete.
Dann biss er zu!
Er war schnell wie ein Fischreiher auf Beutezug, und Lara konnte nichts dagegen unternehmen. Auf einmal spürte sie den scharfen Druck an den Hüften, der ihre Bewegungsfreiheit drastisch einschränkte.
Hinzu kam der Schock!
Dieser gewaltige innerliche Schlag, der hoch bis zum Herzen raste.
Der Leichenvogel biss stärker zu. Aber nicht so stark, dass er die Kleidung durchtrennte und das Mädchen verletzte. Er wusste genau, wo die Grenze lag, zudem wagte Lara aus lauter Angst nicht, sich zu bewegen.
Starr blieb sie stehen, dabei ungewöhnlich angespannt, und aus ihrem Mund drangen wimmernde Laute.
Der zweite Vogel flog herbei. Er hatte sich vom Dach gelöst, seine Flügelschläge wirkten träge, als hätte er überhaupt nichts mit dieser Sache zu tun, und der hässliche Schädel war so gedreht, dass die Glotzaugen auf den Boden gerichtet waren.
Über Laras Kopf rauschte er hinweg. Er stieß wie der dunkle Schatten eines Flugzeugs in die dampfende Nebelwand hinein und wurde von ihr verschluckt.
Lara aber befand sich in der Gewalt des zweiten Vogels, und sie wusste nicht, was mit ihr geschehen würde. Wollte dieser Vogel sie töten?
Eine schreckliche Vorstellung, die allerdings verschwand, als ein Ruck durch den Körper des Leichenvogels glitt, er die Flügel ausbreitete und in die Höhe stieg.
Mit seinem menschlichen Opfer im Schnabel. Er wirkte wie ein Gigant aus einem Fantasy-Film, der sein Opfer in die Urzeit verschleppte.
Lara glaubte, verrückt zu werden. Zu Beginn hatte sie dies nicht so recht mitbekommen. Erst als Sekunden vergangen waren, wurde ihr bewusst, was mit ihr geschehen war.
Sie hing im Schnabel dieses Monstervogels!
Das war doch nicht zu glauben, aber sie brauchte sich nur auf den Druck an ihren Hüften zu konzentrieren, um zu wissen, dass diese Reise kein Albtraum war.
Ihre Arme waren nicht eingeklemmt worden. Die konnte sie bewegen, winkelte sie jetzt an, drückte die Hände nach unten und umfasste den Schnabel.
Die Finger des Mädchens rutschten ab und gerieten an die scharfen Unterkanten der Schnabelhälften. Sofort spürte sie den Riss in den Fingern, die Schmerzen waren ebenfalls da, und sie blutete.
Der Vogel tauchte mit seinem Opfer ein in die graue Nebelwand. Lara kam sich vor, als hätte eine Höhle sie verschluckt. Sie riss die Augen weit auf und erkannte den Schatten des zweiten Vogels.
Der stieß ein heiseres Krächzen aus, in das sich seine hellen Schreie mischten.
War es Triumph? War es Freude? Wahrscheinlich beides. Lara stand furchtbare Qualen durch. Ihr Herzschlag hatte sich beschleunigt, sie fürchtete sich davor, irgendwann zerbissen zu werden, denn der Schnabel war ungeheuer scharf.
Wo lag das Ziel?
Vor Angst und Grauen konnte Lara kaum denken. Ihr Gehirn war wie gelähmt, sie schwitzte trotz der kühlen Nebelnässe. Sie ahnte, dass sie sich längst weit über der Sumpffläche befinden mussten.
Sie konnte sich ihr Ende aussuchen. Entweder zerbissen zu werden oder im Moor zu versinken, ohne dass eine Chance für sie bestand, dass man sie je fand.
Je mehr Zeit verging, umso größer wurde ihre Angst. Sie
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