0406 - Mörder-Medium
Vielleicht bestand die Möglichkeit, daß er den Telepathen hatte täuschen können. Vielleicht würde auch dessen Behauptung anzuzweifeln sein. Wie auch immer… es war das beste, was er tun konnte, bei seiner abgefälschten Version seiner Erlebnisse zu blieben.
Er fühlte, wie Kotranovs Hände seine Schultern losließen, und er sah den Major an. Sewjestins Augen waren schmal und auf den Telepathen hinter Saranow gerichtet.
»Nun?« fragte der Sicherheitsbeauftragte.
Saranow hielt unwillkürlich den Atem an.
»Ich weiß nicht, was Sie eigentlich wollen?« murrte Iwan Kotranov. »Der Genosse Professor spricht die Wahrheit.«
Saranow mußte sich eisern zusammennehmen. Was hatte der Telepath da gesagt?
»Das glauben Sie doch nicht im Ernst, Kotranov!« fuhr Sewjestin auf. In seiner eigenen Erregung entging ihm Saranows Erstaunen und seine Erleichterung. »Sie versuchen Saranow zu decken!«
»Glauben Sie, daß ich das nötig hätte, Genosse Major?« bellte Kotranov wütend. »Ich kann keine Unstimmigkeiten entdecken. Seine Erinnerungsbilder decken sich absolut mit seiner Erzählung. Wenn Sie es nicht glauben, schließen Sie ihn doch an den Lügendetektor an. Oder lassen Sie andere Gedankenleser herbeiholen, die mein Ergebnis überprüfen. Aber die würden Ihnen auch nichts anderes sagen können.«
»Sie decken ihn. Wie auch immer - Sie stecken beide unter einer Decke. Sie haben sich abgesprochen! Saranow, was haben Sie ihm versprochen dafür, daß er für Sie lügt?«
Professor Boris Iljitsch Saranow erhob sich von dem Stuhl, auf dem er bisher gesessen hatte. Wie ein Bär stand er vor dem Schreibtisch des Majors. Und blitzschnell beugte der massige Parapsychologe sich vor, packte mit beiden Händen zu und bekam Sewjestin an den Aufschlägen seines Jacketts zu fassen. Mit einem heftigen Ruck riß er ihn hoch und zu sich heran.
»Pavel!« schrie Sewjestin.
Der Soldat am Fenster sprang auf und zog seine Pistole aus dem Futteral. Er richtete sie auf Saranow.
»Loslassen, Professor!« befahl er.
Saranow ignorierte ihn. »Genosse Spion«, grollte er, in eine alte Angewohnheit verfallend, was seine Art der KGB-Bezeichnung anging. »Genosse Spion, ich habe mir eine Menge von Ihnen gefallen lassen. Jetzt ist der Ofen aus. Ich lasse mir keine solchen haltlosen Anschuldigungen bieten. Nehmen Sie Ihre unverschämte Behauptung zurück, oder ich drehe Ihnen den Hals um! Selbst wenn Ihr Leibwächter mich niederschießt, breche ich Ihnen noch das Genick, Freundchen. Es reicht jetzt!«
»Was fällt Ihnen ein?« schrie Sewjestin. Sein Gesicht war hochrot verfärbt. »Wie kommen Sie dazu, mich anzugreifen? Das ist tatsächlich Angriff auf eine Amtsperson! Ich lasse Sie…«
»Sie lassen gar nichts.« Saranow stieß ihn zurück. Sewjestin krachte auf seinen Stuhl und kippte nach hinten. Die Wand hinter ihm verhinderte, daß er zu Boden stürzte. Aus weit aufgerissenen Augen starrte er Saranow an.
»Mein lieber Major Sewjestin«, fuhr Saranow finster fort. »Wir leben nicht mehr im Zarenreich, und Stalin ist auch schon seit einiger Zeit tot. Sie können nicht einfach nach Gutdünken schalten und walten, als seien Sie ein kleiner Herrgott oder der Zar persönlich. Auch Sie haben sich an Gesetze zu halten. Ich habe mir bis jetzt diese Farce gefallen lassen, weil ich Ihre Motivation noch verstehen konnte, und weil Sie eine Amtsperson sind. Aber beleidigen lasse ich mich nicht. Sie haben eine Menge Dinge getan, die Sie Kopf und Kragen kosten können. Und ich werde dafür sorgen, daß das geschieht. Also halten Sie den Mund! Und erklären Sie Pavel bei Gelegenheit, daß er mit seiner Zimmerflak nicht auf anständige Menschen zielen soll.«
»Sie sind verrückt, Saranow«, keuchte Sewjestin.
»Darüber läßt sich streiten. Aber nicht hier und nicht jetzt, Genosse Spion. Sie haben als Sicherheitsbeauftragter eine Menge Befugnisse - aber ich als Institutsleiter ebenfalls. Ich werde Ihre sofortige Ablösung beantragen. Glauben Sie im Ernst, ich wäre hierher zurückgekommen, wenn ich ein Landesverräter wäre? Glauben Sie, ich wüßte nicht, welchen Kontrollen ich unterliege, zu welchen Auskünften ich verpflichtet bin, welchen Vorschriften ich zu gehorchen habe? Ich bin gerade angekommen, habe mich noch nicht richtig erholt, da kommen Sie mit einem Trupp Soldaten und nehmen mich fest! Es hätte genügt, mich morgen in Ihr Büro holen zu lassen. Wenn ich weglaufen wollte, wäre ich erst gar nicht gekommen. Dann hätte ich den Weg
Weitere Kostenlose Bücher