0407 - Am Tisch des Henkers
zufälligerweise gesehen?« Ich fügte eine kurze Beschreibung hinzu.
»Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Wie sollte auch jemand durch die Halle irren, der keine Berechtigung hat. Haben Sie eine?«
»Ja.«
»Kann ich die mal sehen?«
»Nein.« Ich hatte ein Knacken gehört, einen Augenblick später erklang Madisons Stimme über Lautsprecher. Sie dröhnte durch die gesamte Halle, sodass ich zusammenzuckte. Aber nicht nur wegen der Lautstärke, auch die Stimmlage hatte mich irritiert. Madison schien unter Stress zu stehen.
Zudem war es nicht der zwischen uns abgesprochene Aufruf, die Meldung galt allein mir.
»Oberinspektor Sinclair, Oberinspektor Sinclair, bitte in mein Büro. Es ist dringend.«
Ich jagte schon los und kümmerte mich nicht um die erstaunten Blicke des Mannes, der mir unangenehme Fragen stellen wollte. Da war etwas passiert, und ich rechnete sogar damit, dass die lebende Tote dem Zollbeamten über den Weg gelaufen war.
Ein Gabelstapler kam mir entgegen. Ich wich ihm im letzten Augenblick aus, bevor die breiten Zinken auf mich zuschwenken konnten. Mit diesen Dingern hatte ich schon meine Erfahrungen gemacht.
Sehr schnell erreichte ich den Anbau und sah Madison vor seiner Bürotür stehen.
Auch andere Mitarbeiter hatten die Büros verlassen. Sie wollten zu Madison, der keinen außer mir in den Raum ließ, aus dem ich ein jammervolles Geräusch hörte.
Ich sah den Lehrling. Er lag schmerzverkrümmt auf dem Boden.
Seine Waden bluteten, auch auf der Brust befand sich eine Wunde, und ich ballte vor Wut die Hände, als ich stehen blieb.
»Haben Sie einen Arzt gerufen?«, fragte ich zuerst.
»Ja.«
»Gut, was ist geschehen?«
»Er hat sie gesehen!«
»Die Frau aus dem Sarg?«
Madison nickte. »Sie griff ihn mit einem Schneidemesser an. Zum Glück war es nur dieses Messer. Ein anderes hätte ihn vielleicht getötet.« Madison war bleich wie eine Leinwand. »Das ist nicht zu fassen. Ich habe keine Erklärung.«
»Aber ich. Wo ist es passiert?«
»Im Keller!«
»Und die Leiche? Irrt sie noch dort herum?«
Madison verzog nach meiner Frage den Mund so sehr in die Breite, als wollte er eine Nuss zerkleinern. »Sie sind gut. Eine Leiche…«
»Sie war es, verdammt!«, unterbrach ich ihn. »Also, wo befindet sich hier der Zugang zum Keller?«
»Ich zeige es Ihnen. Unter der Treppe.«
»Danke, das reicht.« Ich machte mich sofort auf den Weg. Noch immer war mir dieser Fall ein einziges Rätsel. Wer schickte denn von Indien aus per Luftfracht einen Zombie in einem gläsernen Sarg nach London? Und aus welchem Grund hatte dieser Unbekannte dies getan? Meine Fantasie ging mit mir durch.
Ich hatte immer noch das Bild des jammernden Jungen vor Augen, als ich mich der Treppe näherte. Ich zog meine Beretta und stieg in das Kellerarchiv hinab. Immer auf der Hut, denn es war möglich, dass ich urplötzlich attackiert wurde. Zombies sind heimtückisch, sie kennen keine Rücksicht und benutzen Dinge als Waffen, die uns Menschen nicht in den Sinn gekommen wären.
Es passierte nichts. Ich stand schließlich im Keller, sah die Regale mit den Akten und entdeckte auch das Blut auf dem Boden.
Wenn sich die lebende Leiche noch in der Nähe befand, hatte sie sich gut versteckt.
Ich ging weiter.
Dabei dachte ich daran, dass es dem Zombie einfach nichts brachte, wenn er sich im Keller versteckte. Hier würde er kaum seinen Auftrag erfüllen können.
Er musste also etwas anderes vorhaben. Regal für Regal suchte ich ab. Geräusche hörte ich kaum, nur meine eigenen Schritte, mal Stimmen von oben, das war auch alles.
In alle Ecken leuchtete ich, ohne jedoch die Gestalt zu entdecken.
Aber mir fiel ein komischer Geruch auf. Es stank nach Abwässern.
Und diesem Geruch ging ich nach. Er führte mich in eine Ecke des Kellers, wo keine Regale standen.
Dort sah ich das Loch im Boden.
Es war rund, ebenso wie der Kanaldeckel, der neben dem Loch lag. Aus der Öffnung im Boden stieg dieser widerliche Gestank, und ich wusste längst Bescheid.
Der weibliche Zombie aus Indien hatte seinen Fluchtweg gefunden. Er war in den Schacht geklettert und würde seinen Weg unterirdisch fortsetzen. Damit standen ihm zahlreiche Möglichkeiten zur Verfügung. Die vielen Schächte, durch die er die Unterwelt verlassen konnte, waren auf die Schnelle nicht zu bewachen.
Wie groß konnte sein Vorsprung sein? Ich wusste es nicht, kletterte aber, ohne mich mit Mr. Madison abgesprochen zu haben, in den Schacht des
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