0407 - Am Tisch des Henkers
Flüssigkeit.
Der Zombie war aber nicht zu sehen.
War sein Vorsprung tatsächlich so groß, dass ich ihn nicht mehr erwischen konnte?
Das wollte mir einfach nicht in den Kopf. Ich kannte die untoten Wesen so gut, als hätte ich sie studiert. Sie ließen sich selten durch irgendwelche Hindernisse von ihrem Ziel abhalten, aber ich wusste auch, dass man sie nicht gerade als Schnellläufer bezeichnen konnte.
Zudem hatten sie stets Probleme mit dem Gleichgewicht, aus diesem Grunde breiteten sie zumeist die Arme aus, um beim Gehen die Balance zu halten.
Je tiefer ich in diese unterirdische Welt eindrang, umso verlorener fühlte ich mich. Es war nicht still. Außer meinen eigenen Schritten vernahm ich noch das Klatschen der Tropfen, die von der Decke auf den Boden fielen.
An der Decke klebten Spinnweben, die ein verwirrendes Muster bildeten und silbrig glänzten, weil Tropfen an ihnen hingen.
Das Rauschen des Wassers war mir schon nach den ersten Schritten aufgefallen. Es wurde lauter, weil ich mich einem Kanal näherte, der in den Hauptkanal mündete.
Ich konnte wählen. Rechts oder links, das war hier die Frage.
Ich entschied mich für die rechte Seite. Wenn mich mein Gefühl nicht täuschte, kam ich, wenn ich die linke nahm, wieder zum Flughafen.
Und so tigerte ich los. Neben mir schäumte das Schmutzwasser, das einen widerlichen Kloakengestank abgab. Ich musste Acht geben, dass ich nicht auf dem schmalen Gehweg ausrutschte.
Kanalratten tauchten auf. Dicke, fette Tiere, die sich in dem Dreck suhlten und sich dabei von den Fluten weiterspülen ließen. Manchmal ragten nur die Köpfe mit den kleinen Augen aus der braunen Brühe.
Ich tigerte weiter durch die unterirdische Welt. Ich will nicht noch länger davon berichten, jedenfalls verging die Zeit, und nach einer halben Stunde befand ich mich noch immer in diesem verdammten Gang. Es mündeten zwar hin und wieder Rinnsale in die schäumende Flut, aber die konnte man vergessen. Sie drangen aus schmalen Löchern und Einschnitten in den nassen Steinwänden.
Irgendwann fiel mir das in unregelmäßigen Abständen erfolgende Vibrieren auf. In der Nähe musste also der U-Bahn-Schacht sein.
Wo aber steckte der verdammte Zombie?
Ich war ziemlich schnell gegangen, aber gesehen hatte ich die lebende Leiche nicht. War es ihr tatsächlich gelungen, mit meiner Geschwindigkeit Schritt zu halten?
Dann wäre diese lebende Leiche in meinen Augen tatsächlich ein Phänomen gewesen.
Hin und wieder hatte ich nach oben führende Schächte gesehen, sie aber passiert, weil nichts darauf hingewiesen hatte, dass die Untote hochgeklettert war.
Ich hatte mich mittlerweile an die Umgebung und die Düsternis gewöhnt. Manchmal fielen die Lichtreflexe auf die schäumende Flüssigkeit und spiegelten sich unter der Decke wider. Auch wurde das Flussbett enger, sodass die Wassermassen rechts und links überschäumten. Dabei stieg die Geschwindigkeit. Die mich begleitenden Ratten konnten sich oft nicht dagegen anstemmen, wurden auf den Gehsteig geschleudert und gerieten in meine unmittelbare Nähe.
Hin und wieder rollten sie dicht vor meine Füße, nahmen aber sofort Reißaus, als wüssten sie genau, dass ich bereit war, mit ihnen kurzen Prozess zu machen.
Wieder einmal schaltete ich meine Lampe ein, da ich eine ziemlich düstere Strecke zu überwinden hatte. Ein Hindernis tauchte auf. Es war eins der typischen Gitter, die zumeist vor einem Gefälle standen.
Deshalb auch das Rauschen, da die Fluten in die Tiefe stürzten.
Ich schwenkte meinen Arm. Der Lichtstrahl der Lampe machte die Bewegung mit, glitt über das Wasser auf die andere Seite des Gangs und traf dort etwas Helles.
Es war das Gewand der lebenden Leiche!
Sie hatte den Abwasserkanal überquert und stand vor einer Nische.
Zuerst wusste ich nicht, was ihre heftigen Bewegungen zu bedeuten hatten, bis ich im Lichtstrahl die Ratten sah. Sie griffen die lebende Leiche an.
Aber der Zombie wehrte sich. Es war ihm gelungen, eine der Ratten zu schnappen. Er hielt sie mit beiden Händen fest, zerriss sie in der Luft und schleuderte sie fort.
Das mochten wohl die anderen nicht, denn sie sprangen auf die lebende Leiche zu.
Sie bissen sich an ihr fest. Der alte Stoff riss, plötzlich klafften da einige Lücken. Die Zähne der Nager drangen in die Haut ein, und als der Zombie sie abriss, blieben einige Hautfetzen zwischen den Zähnen der Ratten hängen, was der Untoten aber nicht viel ausmachte. Jedenfalls hatte sie ihr eigenes Ziel
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