041 - Die Tür mit den 7 Schlössern
Interesse.
»Das ist ja ein merkwürdiges Ding - ein Schlüssel, nicht wahr? Und den hat Ihnen Cody gegeben?«
»Nun, nicht eigentlich ›gegeben‹. ›Liegengelassen‹ trifft den Nagel eher auf den Kopf«, sagte Dick, unverfroren wie immer.
»Aber sehen Sie sich dieses Notizbuch an! Es wimmelt von Eintragungen, die sich auf Lord Selfords Reisen beziehen. Hier ist das Datum seiner Ankunft in Buenos Aires und die Adresse seines Hotels. Hier ist der Tag der Abfahrt aus San Franzisko, da landete er in Shanghai. Kein Hafen, kein Datum fehlt, Lord Selford selbst hätte diese Aufzeichnungen nicht sorgfältiger führen können.«
Havelock blätterte langsam in dem Büchlein.
»Das gibt wirklich zu denken«, sagte er.
Dick beugte sich vor.
»Kennen Sie übrigens einen Menschen namens Staletti? Sein Haus liegt in Sussex, an der Chaussee nach Brighton.«
Er hielt inne.
Er sah, wie Havelock stutzte.
»Staletti? Ja, den kenne ich. Er hat ein Haus von Lord Selford gepachtet. Die ganze Gegend dort ist Selfordscher Besitz. Auch Cody muß einer unserer Pächter sein. An die Verpachtung des ›Galgenhofs‹ erinnere ich mich ziemlich genau. Denn gerade damals beschäftigten sich die Zeitungen mit Staletti. Er wurde wegen ungesetzlicher Vivisektion verurteilt. Ein schmieriger Mensch, der an einen Hypnotiseur erinnert!«
»Sie charakterisieren ihn vortrefflich«, sagte Dick anerkennend. »Hypnotiseur! Das ist das einzig zutreffende Wort!«
»Aber wie kommen Sie auf ihn? Wir sprachen von Cody.«
»Ich will es Ihnen erzählen! Hören Sie zu!«
Dick sprach sehr langsam. Denn plötzlich war der Vorhang, hinter dem sich das Schicksal des jungen Lord Selford bisher abgespielt hatte, von oben bis unten zerrissen. Er sah die Bühne wie durch ein umgekehrtes Opernglas - fern und verkleinert, doch unendlich scharf. Er sah die Akteure, die sich darauf bewegten - gelenkige Puppen, deren Drähte in wenigen Händen zusammenliefen. Sein Herz hämmerte wie eine überhitzte Maschine. Die Bilder, die sein geistiges Auge ihm zeigte, und diejenigen, die durch die Schilderung seines gestrigen Abenteuers in seiner Erinnerung heraufbeschworen wurden, kreuzten und überschnitten sich. Sein Gehirn arbeitete fieberhaft nach zwei Richtungen. Dennoch vermochte er seine unheimlichen Erlebnisse ziemlich genau zu skizzieren.
»Haben Sie Anzeige erstattet?« forschte Havelock.
Dick schüttelte den Kopf.
»Noch nicht, aber ich werde wohl noch zu Sneed gehen.«
»Wer ist Sneed?« wollte Havelock wissen.
»Ein Inspektor von Scotland Yard. Groß im Entschleiern selbst der dichtesten Geheimnisse! Ein Genie im Rätselraten! Und da wir gerade bei Rätseln sind: Wovon lebt Doktor Staletti? Aus welcher Einnahmequelle bezahlt er seine Pacht?«
»Wenn ich das wüßte!« erwiderte der Anwalt. »Er ist ein ausgezeichneter Biologe, aber seine Ideen sind sehr gewagt. Halt - da fällt mir eben ein, Staletti wurde uns, glaube ich, durch Cody empfohlen. Ich schlage eben mal die Korrespondenz nach.«
Er eilte hinaus und kam kurze Zeit darauf mit einem Schnellhefter wieder.
»Ich habe mich nicht geirrt. Einen Monat nach dem Ankauf der australischen Besitzungen trat Cody Stalettis wegen an uns heran. Der ›Galgenhof‹ stand damals gerade leer. Wahrscheinlich wirkte der gruselige Name abschreckend. Es soll nämlich dort bis vor hundert Jahren ein Galgen gestanden haben.«
»Dann wurde er hundert Jahre zu früh abgebrochen. Es scheinen in der Gegend ein paar ganz gefährliche Galgenbrüder zu hausen«, sagte Dick.
Er hatte alles erfahren, was er zu wissen wünschte -mehr sogar; so verabschiedete er sich von Havelock und kehrte in seine Wohnung zurück, um dort in aller Eile seine beiden Handkoffer zu packen und seine Wirtschafterin für die nächsten vier Wochen zu beurlauben. Sie mußte ihm hoch und heilig versprechen, niemals in seiner Abwesenheit die Wohnung zu betreten. Dann erst entließ er sie.
Seinem Pförtner gab er den Auftrag, seine gesamte Post nach Scotland Yard weiterzuleiten. Er setzte Havelock von seinen Plänen für die nächste Zukunft nicht in Kenntnis. Er hielt es für ratsam, keine menschliche Seele ins Vertrauen zu ziehen.
12
Mrs. Lansdown war eine zarte Frau von seltener Schönheit. Ihre Welt war nicht immer eine anspruchslose Dreizimmerwohnung gewesen. Es hatte eine Zeit gegeben, da war sie eine der reichsten Frauen Englands. Gregory Lansdown, ihr Gatte, besaß tausend Morgen fruchtbare Ländereien in Berkshire, eine Jagd in Norfolk,
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