041 - Um Mitternacht im Leichenhaus
der lautlos wie eine Schlange unter dem Rücksitz hervorgekrochen
war, stieg über die Polster hinweg, drückte die vor Angst und Grauen bewusstlos gewordene Judy Bartmore einfach auf die Seite, ohne sich weiter um sie zu kümmern.
Er setzte sich hinter das Steuer, löste die Bremse und wendete den
Chevrolet.
Wortlos fuhr er den Weg zurück, den die Schauspielerin gekommen war, bog
jedoch eine Straße früher ein. In der Dunkelheit zeichneten sich in der Ferne
die Umrisse einer alten Mauer und eines dahinter liegenden Gebäudes ab, das als
Städtisches Leichenhaus bezeichnet wurde.
Der Unbekannte hielt den Kopf ein wenig gesenkt. Schatten lagen über seiner
Stirn. Aber selbst ein greller Lichtstrahl, der seinen Kopf getroffen hätte,
würde nicht allzu viel preisgegeben haben.
Der unheimliche Chauffeur hatte kein Gesicht.
●
Judy spürte Kälte. Fröstelnd zog sie die Schultern hoch und griff mit
klammen Fingern nach dem Tuch, das ihre Brust bedeckte. Im Unterbewusstsein
registrierte sie, dass dies nicht ihr Bett sein konnte, denn das war weich,
warm und mollig – dieses hier war aber hart, schmal und kalt.
Sie seufzte und wollte sich auf die Seite drehen, als schlagartig ihre
Erinnerung einsetzte.
Alles in ihr sträubte sich, als sie glaubte zu wissen, wo sie sich befand.
Die Wände, kahl und düster, beengten sie.
Sie sah die hellen Laken, die in der Finsternis leuchteten und ahnte mehr
die starren Körper, die darunter lagen, als dass sie sie sah.
Judy Bartmore begann wie ein Tier zu wimmern, das
man langsam zu Tode quält. Sie fröstelte am ganzen Körper, als sie sich
allmählich erhob. Der Unheimliche mit der sanften Stimme hatte seine Drohung
wahr gemacht.
Sie griff nach dem hellen Mantel, den sie noch immer trug, und hielt ihn
vor der Brust zusammen. Die Absätze ihrer Stöckelschuhe klapperten auf dem
Boden und wurden zu einem harten, unwirklichen Geräusch in dieser
gespenstischen Umgebung. Heftig schlugen ihre Zähne aufeinander, und in ihren
Augen stand der beginnende Wahnsinn. Wie ein Fremdkörper bewegte sie sich
zwischen den in Reih und Glied stehen den Bahren und wagte nicht, sie zu
berühren. Sie suchte den Ausgang.
Es musste eine Tür geben.
Da hörte sie ein leises Schleifgeräusch in der Finsternis vor sich und
verharrte in der Bewegung, all ihre Muskeln und Sehnen spannten sich.
Da war es wieder!
Ein unterdrücktes, schwaches Stöhnen, ein Schleifen über dem Boden, so als
krieche jemand auf sie zu!
Das Grauen schnürte ihre Kehle zu, als sie einen Widerstand vor ihren Füßen
spürte.
Lange, gierige Finger griffen nach ihrem Fußgelenk, umspannten es und
ließen nicht mehr locker.
Niemand hörte ihren markerschütternden Schrei, als sie sich losriss.
Ihre Blicke erfassten die Gestalt, die vor ihr am Boden lag, sie sah die
wächsernen, verkrampften Finger vor sich, die sich zuckend von ihr zurückzogen.
Der Mann rollte langsam auf die Seite. Sein blutverschmiertes Hemd wurde
sichtbar.
Judy ahnte nicht, dass vor ihr der entsprungene Häftling John Taylor lag,
den ein unheimlicher Mörder niedergestochen hatte, und der vor ihren Augen
starb.
Wie von Sinnen rannte Judy Bartmore in das
Dunkel. Sie schrie, stolperte, verlor den Halt und stürzte ohnmächtig über
einer Bahre zusammen. Die Schauspielerin fühlte den starren, abgedeckten Körper
unter sich nicht mehr und hörte nicht, dass zur gleichen Zeit draußen vor dem
alten, düsteren Gebäude eine Autotür zuschlug.
●
Der Morgen dämmerte. Die Luft war feucht und neblig.
Vor dem Tranters Hotel in Salisbury fuhren in der Frühe
drei vollbesetzte Autobusse vor. Sie brachten die Schauspieler und die
Techniker für die geplanten Aufführungen.
Unter den Ankömmlingen war auch Miriam Brent.
Die meisten von ihnen hatten in der Nacht nur wenig geschlafen, viele sahen
müde und abgekämpft aus. Die meisten wollten bis zum Mittagessen noch ruhen,
denn spätestens um vierzehn Uhr sollten die ersten Proben beginnen. Andere
wiederum freuten sich auf die erste Tasse Kaffee, zumal im Frühstückszimmer die
Tische schon gedeckt waren.
Die Busse leerten sich. Miriam Brent war eine der letzten, die ausstiegen.
Sie ging an der Seite ihrer Freundin und Kollegin Jennifer Ames.
Die Straße vor dem Hotel war – außer den Bussen – praktisch leer. Der
Asphalt schimmerte feucht und zwischen den Alleebäumen hingen Nebelfetzen.
Miriam Brent zog die wollene Stola enger um ihre Schultern. Sie wurde auf einen
schwarzen
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