0411 - Der Steinzeit-Magier
schon Flachswebstühle besaßen, die sich bis heute auch nicht mehr sonderlich verbessert haben… über Handelsstraßen zu den britischen Inseln und tief in den Balkan hinein…«
»Hoppla«, stieß Nicole hervor. »Handelsstraßen in der Steinzeit?«
»Vergessen Sie nicht, daß die Steinzeit bei uns relativ spät ihr Ende fand. Da waren die Völker Mesopotamiens und Ägyptens schon viel weiter entwickelt. Der Mittelmeerraum ist mit Mitteleuropa nicht zu vergleichen… natürlich gab es die großen Handelswege. Bronze besteht im allgemeinen aus neun Teilen Kupfer und einem Teil Zinn. Das Kupfer wurde aus Ungarn und Jugoslawien hierhergebracht, das Zinn kommt aus Schottland und Irland. Denn hier unten gab es zwar eine Bronzekultur, aber nicht ein einziges Gramm Metall. Das mußte alles importiert werden. Übrigens wurden sogar die Reste eines Frachtschiffes mit einer Zinn-Fracht vor Nordafrika gefunden. Ob jenes Zinn nun auch von Großbritannien kam, ist allerdings mehr Spekulation.«
Nicole lächelte. »Man lernt doch nie aus. – Was ist das?«
»Was meinen Sie?«
Nicoles Lächeln war jäh erloschen. Sie sah zu Zamorra. Die Luft flimmerte seltsam. Unwillkürlich verkrampften sich die Hände der Französin zu Fäusten. Sie sprang auf.
Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte sie in eine veränderte Landschaft zu blicken. Flaches, bewachsenes Land, wo jetzt der Bodensee war, ein dunkler, düsterer Schatten wie ein riesiges Tier auf unzähligen Beinen… und Nebelschwaden, die alles einhüllten, und düstere Wolken am Himmel, und Regen…
Dann war wieder alles vorbei.
Die Luft flimmerte nicht mehr. Der kurze Kontakt mit einer anderen Welt – oder anderen Zeit – hatte sein Ende gefunden.
»Zamorra!« stieß Nicole unwillkürlich hervor…
***
Oben am Straßenrand stand Karl Fränkle neben dem geparkten Ford Sierra-Kombi der Uni Stuttgart; zweiter Wagen des Teams und offizielles Dienstfahrzeug Dr. Eilerts. Fränkle sah zum Seeufer hinab, zu der Ausgrabungsstätte.
Er wischte sich mit der Hand über die Augen.
Das Bild veränderte sich nicht mehr. Fränkle ballte die Faust. Unbeweglich stand der Beobachter da und wartete ab.
***
Professor Zamorra hatte alles, was um ihn herum vorging, verdrängt. Er sah weder Land noch Wasser. Konzentriert starrte er auf das Zentrum des Amuletts, wo der stilisierte Drudenfuß glühte und zu einer Art Mattscheibe im Kleinformat wurde. Ein verwaschenes Bild zeichnete sich ab, wurde schärfer und klarer in seinen Umrissen.
Das Amulett zeigte ihm diesen Bereich der Landschaft – und ließ den »Film« dabei beschleunigt rückwärts ablaufen.
Zamorra erkannte Möbius, sich und Nicole, wie sie abfuhren und ankamen, dann war geraume Zeit nichts. Spaziergänger, die von dem grausigen Geschehen vielleicht nicht einmal etwas ahnten, huschten durchs Bild. Die Nacht kam…
Viele Stunden waren rückläufig vergangen. Das Bild verlor etwas an Schärfe. Zugleich spürte Zamorra die Anstrengung. Es wurde zusehends mühsamer, den Kontakt zur Vergangenheit zu halten. Aber Zamorra wollte durchhalten, so lange er es konnte. Wenn er nur verschwommene Eindrücke erhaschte, war das schon viel. Er wünschte sich, er besäße seinen Dhyarra-Kristall noch, mit dem er die aufgewendeten Energien noch weiter hätte verstärken können. Aber der Kristall war, ebenso wie die Laserwaffe der Dynastie, bei den alptraumhaften Überlebenskämpfen in Sara Moons Labyrinth-Falle zerstört worden, und es war ein Wunder, daß Zamorra selbst den dort lauernden Dämonen nicht zum Fraß geworden war.
Wenigstens hatte er sich von den Strapazen ein paar Tage erholen können, so daß er jetzt einigermaßen fit war. Aber er verausgabte sich bereits mehr, als er verantworten konnte.
Doch er war nicht in der Lage, den Versuch abzubrechen, ehe die Erschöpfung ihn übermannte oder er einen Erfolg erzielte. Er hatte sich innerlich auf dieses Experiment programmiert und konnte es selbst nicht mehr löschen.
Ein neuer Tag… der gestrige… es wimmelte von Polizeibeamten, die nach Spuren suchten… zumindest erweckten die jagenden Schatten einen solchen Eindruck. Weiter stieß Zamorra in die Vergangenheit vor, zitternd, schwächer werdend…
Und dann kam der Zusammenbruch.
Daß etwas Fremdes ihn berührte, der kalte Hauch einer fremden Zeit, spürte er nicht mehr. Er hatte das Bewußtsein verloren. Das Amulett entfiel seiner kraftlos werdenden Hand, und der Kontakt zur Vergangenheit riß ab.
***
Der
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