0412 - Ein Grab aus der Vergangenheit
ausgestreckt hat.«
Ich hatte die Schachtel gefunden, ihr die Schwarze entnommen und sie zwischen meine Lippen gesteckt. Mit einer Hand schirmte ich die Flamme gegen die Windböen ab, zündete sie an, bevor ich Gerald die Zigarette reichte.
»Danke.«
Seine Augen hatten einen ungewöhnlichen Glanz angenommen.
Ob es der Ausdruck der Freude oder der schon neben ihm stehende Tod war, konnte ich nicht sagen. Ich hoffte nur, dass er glücklich war.
Gerald nahm einen Zug. Er saugte den Rauch in die Lungen. Zum Ausatmen kam er nicht mehr. Die Zigarette kippte nach vorn weg und fiel ihm von der Unterlippe.
Zusammen mit dem Rauch drangen Schaum und Blut aus seinem Mund. Der Blick brach, wurde starr, und ich drückte ihm die Augen zu.
Ein kurzes Gebet sprach ich noch, dann stand ich auf und stemmte mein Gesicht gegen den Wind. Beide Hände hatte ich geballt. Die Nägel drangen in das Fleisch der Ballen. Jetzt stand ich allein gegen die verdammte Meute.
Ich musste den Reporter so liegen lassen. Sollte ich überleben, würde ich dafür sorgen, dass er ein anständiges Begräbnis erhielt.
»Au revoir«, sagte ich dann leise und ging. Gemeinsam hatten wir vorgehabt, den Weg durch den zweiten Turm zu nehmen. Das verwarf ich jetzt. Ich ging die gleiche Strecke zurück, die ich gekommen war. Wenn es nicht anders möglich war und ich keinen Ausgang fand, wollte ich eine Fensterscheibe in den unteren Geschossen einschlagen, um dort das Gebäude zu verlassen.
Herzklopfen bekam ich schon, als ich das leere Turmzimmer durchquerte und die Treppe hinabstieg. Da ich von unten her keinerlei verdächtige Geräusche vernahm, riskierte ich es, die Lampe einzuschalten, deren dünner Strahl mir den Weg wies und über die Treppenstufen tanzte. Den Turmbereich hatte ich bald hinter mir gelassen und schritt über die breitere Treppe weiter.
Hin und wieder wurde sie vom Schein einer Lampe erhellt. Ich brauchte meine Leuchte nicht mehr.
Überall suchte ich nach den Spuren der Wölfe und fand nichts.
Unangefochten erreichte ich den Gang mit den vielen Türen und gelangte in den Thronsaal.
Hier wurde ich vorsichtiger.
Die Tür stand offen. Mein Blick fiel in den großen Saal, der dunkel vor mir lag.
Die meisten Stühle waren umgekippt, der Tisch stand schief, wie ich im Licht meiner Lampe erkennen konnte.
Kein Werwolf hielt sich mehr im Thronsaal auf. Dennoch hatte ich das Gefühl, als wären sie noch da. Sie waren zwarnicht zu sehen, aber zu spüren. Ich roch sie, ich konnte sie fast neben mir stehen sehen. Ihr dampfender Odem hatte sich gehalten, und über meine Haut rann ein Schauer.
Es war Zufall, dass ich den Schalter entdeckte. Mit der Fußspitze stieß ich gegen ihn. Dicht neben einem Tischende befand er sich im Boden eingelassen.
Ich kickte ihn herum, und die Lampen unter der Decke strahlten ihr Licht ab.
Der rote Schein legte sich wie ein dünner Teppich über den großen Saal. Auch mich umfing er, aber das war nicht wichtig. Für mich zählte die zweite Tür, die ich bei der ersten Flucht aus diesem Raum nicht gesehen hatte.
War das meine Chance?
Ich eilte auf sie zu, probierte die Klinke und lächelte knapp, als die Tür aufschwang. Das lief besser, als ich gedacht hatte. Dahinter lag ein kurzer, breiter Gang, der in einen anderen Saal führte.
Prunkvoll ausstaffiert, mit einer von Blattgold überzogenen Decke und prächtigen Bildern an den Wänden.
Das alles erkannte ich im Schein der Wandleuchten, die ich eingeschaltet hatte.
Wertvolle Teppiche dämpften meine Schritte. Mir gegenüber befand sich eine breite Tür.
Ich ging vorbei an einem Piano, mehreren barocken Sitzgruppen, einem Kamin, aus dem es nach kalter Asche roch, mehreren kleinen, mit Flaschen überladenen Tischen auf krummen Metallbeinen, sah auch die typischen Barockschränke mit ihrer geschwungenen Linienführung und die handwerklich hervorragende Intarsienarbeit auf dem Holz.
Hier standen Werte, um die ich mich nicht kümmerte, denn meine Aufgabe war eine andere.
Ich musste die Wölfe stoppen!
Wie ich das allerdings anstellen sollte, war mir ein Rätsel. Ich war gespannt, was hinter der großen Doppeltür lag, öffnete eine Seite und schaute abermals in einen anderen Raum.
Und der musste mich zum Ausgang bringen, denn er erinnerte mich an eine Empfangshalle.
Auch hier brannte das Licht. Ich sah die breiten Sessel, eine prächtige Standuhr, wieder einen Kamin, dunkle Schränke mit Glasfronten und Teppiche.
Und natürlich die Ausgangstür.
Sehr
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