0412 - Ein Grab aus der Vergangenheit
hoch, auch breit. Dass sie nach draußen führte, war leicht zu erkennen. Sie stand einen Spaltbreit offen, und durch die schmale Öffnung wehte der Nachtwind.
In der großen Halle mit der bemalten Decke fühlte ich mich ein wenig verloren, als ich auf die Tür zuging. Ich schob sie weiter auf, wollte nach draußen gehen und blieb wie vom Blitz getroffen stehen.
Mein Blick war auf einen Teil des Vorgartens gefallen, und dort bewegten sie sich.
Es waren tatsächlich die Wölfe.
Ich sah sie umherhuschen. Ihre Füße trommelten dumpf über den weichen Grasboden.
Die Wölfe hatten ein gemeinsames Ziel.
Das waren die zahlreichen Pferde, die unter den kahlen Kronen der Bäume standen. Die Tiere wurden unruhig, als sie bemerkten, wer sich ihnen da näherte.
Doch eine helle, keifende Stimme brachte die Tiere schnell wieder unter Kontrolle.
Gesprochen hatte Manon Medoque. Man sah ihr an, dass sie die Chefin war. Über ihren Werwolfkörper hatte sie einen dunklen Umhang gehängt, der bei jedem Schritt, den sie ging, wie eine Glocke schwang.
Ich spürte den Klumpen im Magen. Eine helle Welle überflutete mich. Verdammt, diese Bestie war an allem schuld. Sie hatte mich nicht entdeckt, ich aber sie.
Sollte ich ihr eine geweihte Silberkugel auf den Pelz brennen?
Es war zu spät, denn andere Wölfe traten vor sie und nahmen mir die Sicht. Die Bestien hatten es tatsächlich geschafft und sich die Pferde geholt. Damit wollten sie wegreiten.
Das hatte ich noch nie erlebt. Werwölfe, die auf Pferden saßen?
Ich schluckte und zog die Tür behutsam weiter auf. Ein Pferd hatten sie zurückgelassen. Es musste dem Werwolf gehört haben, den ich erledigt hatte.
Das konnte für mich sein.
Sie saßen jetzt alle auf den Rücken ihrer Tiere. An der Spitze der Kavalkade hielt sich Manon Medoque auf. Für einen Moment tauchte sie in das Silberlicht des Mondes.
Deutlich hob sich ihre Kontur ab.
Ich griff nach der Beretta.
»Rühr dich nicht, Engländer! Eine falsche Bewegung nur, und du bist tot!«
Gesprochen hatte Jean. Und der stand genau hinter mir!
***
Ich ließ die Beretta los, als wäre sie glühend heiß. Ob Jean bewaffnet war oder nicht, konnte ich nicht sehen, rechnete aber stark damit.
Draußen ritten die Werwölfe an.
Ein fauchender Schrei, ausgestoßen von Manon, jagte in die Nacht hinein. Er war das Zeichen für die Pferde, die sich in Bewegung setzten. Ich konnte zusehen, wie die wilde Horde über das grasbewachsene Areal preschte und in der Finsternis verschwand.
Jetzt hätte ich mich auf das Reservepferd schwingen und sie verfolgen können, das jedoch war nicht möglich.
Jean fasste sich in Geduld. Erst als das Donnern der Hufe verstummt war, sprach er mich wieder an. »Komm langsam zurück und dreh dich dann erst um.«
»Okay.«
Ich ging sehr zögernd. Unter meinen Sohlen spürte ich den harten Steinboden, der bald darauf von einem weicheren Teppich abgelöst wurde. Auf dieser Brücke musste ich stehen bleiben und durfte mich erst jetzt umdrehen.
Jean war tatsächlich bewaffnet. Woher er gekommen war, wusste ich nicht. Es zählte nur die verdammte Waffe in seiner Hand, und sie war kein Spielzeug.
Ich kannte diese handlichen israelischen Maschinenpistolen der Marke Uzi.
Und Jean hatte den Finger am Abzug.
Ich lächelte kalt. Im Vergleich zu seiner Figur wirkte die Waffe in seinen Pranken beinahe lächerlich. Er stand im Licht. Trotzdem erinnerte mich sein Gesicht an graues Fett. Der Mund war zu einem Halbmond verzogen, die Augen sahen aus wie dunkle, kalte Steine.
Wir starrten uns an. So lange, bis Jean nickte. »Darauf habe ich gewartet!« erklärte er. »Du weißt doch, dass zwischen uns noch eine Rechnung offen steht. Ich lasse mich nun mal nicht gern treten. Verstehst du doch, oder?«
»Klar, aber ich habe dich nicht mit einer Maschinenpistole bedroht.«
»Der eine so, der andere anders.«
Dieser Mann wollte mich töten, das war klar. Ein Typ wie Jean nahm keine Waffe in die Hand, wenn er nicht vorhatte, zu schießen.
Ich stand ihm zwar nicht waffenlos gegenüber, aber ich hatte keine Chance, an meine Beretta heranzukommen.
Allmählich kroch ein Angstgefühl in mir hoch. Ich kannte die Symptome genau. Dann floss das Blut schneller durch die Adern, wobei ich das Gefühl hatte, als würde es sich allmählich erwärmen und mir in den Kopf schießen.
Ein Ausweg war nicht in Sicht. Ich stand auf freier Fläche, konnte keinen Gegenstand greifen, um ihn Jean an den Kopf zu schleudern, außerdem war
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