0417 - Die Straße der Gräber
rechnen«, sagte der Stuntman über die Schulter hinweg zu mir.
»Ändert das etwas an meiner Lage?«
»Wohl kaum.«
»Dann ist es mir egal.«
Er lachte und verließ seinen Platz. Die Tür schloß er nicht mehr hinter sich, so daß ich von meinem Platz aus nach draußen blicken konnte und den dichten Wald sah.
Zwischen den einzelnen Stämmen der Bäume lag längst die Dämmerung.
Ruhig war es im Wald nicht. Mal hörte ich einen Vogel schreien, dann wieder raschelte irgendwo etwas, als hätte ein Tier versucht, sich schnell irgendwo zu verstecken.
Tremper war verschwunden.
Einige Minuten verstrichen, ohne daß er sich blicken ließ, und mir kam zwangsläufig der Gedanke an Flucht. Bis zum Ort war es nicht weit, ich hatte mir die Richtung gemerkt und traute mir auch zu, trotz der gefesselten Hände mein Ziel zu erreichen.
Mit einem Ruck stemmte ich mich vom feuchten Holz der Sitzbank hoch, blieb stehen und drückte meinen Rücken durch, der vom langen Sitzen steif geworden war.
Die offenstehende Tür war eine Einladung für mich. Dahinter lag ein düsterer Wald. Gerade diese Düsternis und das Schweigen bedrückten mich, aber die Bäume und deren Schatten schienen mir zuzuwinken, doch endlich zu kommen.
Deshalb ging ich.
Leise setzte ich meine Schritte. Die Fenster der Hütte behielt ich stets im Blickfeld, aber hinter den kleinen, schmutzigen Scheiben bewegte sich nichts.
Ich erreichte die Tür. Bevor ich nach draußen trat, sah ich mich noch einmal vorsichtig um. Es war auf den ersten Blick nichts Verdächtiges zu erkennen. Auch der Stuntman lauerte mir nicht auf.
Deshalb wagte ich es.
Drei Schritte weit kam ich, als ich hinter mir das Lachen hörte.
Sofort blieb ich stehen, den Rand des dichten Unterholzes fast zum Greifen nahe.
»Sinclair, Sinclair!« Seine Stimme klang vorwurfsvoll und spöttisch zugleich. »Dabei hast du von einer gewissen Fairneß geredet, aber du bist derjenige, der sie leider nicht einhält. Schade, ich hatte dich auf die Probe gestellt, doch du hast sie nicht bestanden. Oder glaubst du, ich hätte die Tür sonst offengelassen?«
»Eigentlich nicht. Aber man kann es ja mal versuchen.«
»Nicht bei mir.« Tremper umrundete mich und baute sich vor mir auf. »Am liebsten würde ich Ihnen ins Gesicht schlagen, aber das ist mir zu billig.«
»Ich bedanke mich.«
»Rein in die Hütte.« Er zielte mit der Beretta auf meinen Kopf.
Ich blieb noch stehen. »Sie können es sich nicht leisten, mich zu töten. Was ist, wenn ich nicht gehe?«
»Dann werde ich Sie zusammenschlagen!«
Ich schaute ihn hart an. »Ja, Meister, ja. Das traue ich Ihnen sogar zu.«
»Dann würde ich an Ihrer Stelle vorsichtiger sein.«
Ich drehte mich wieder um und schritt den gleichen Weg zurück.
Schade, aber es war leider nur ein Versuch gewesen.
Mark Tremper mußte sich trotzdem abreagieren. Hart schlug er in meinen Rücken. Ich fiel nach vorn auf die Sitzbank und hatte Glück, daß ich nicht mit dem Gesicht aufschlug.
Schwer fiel ich auf die Bank und drehte mich wieder so herum, daß ich zur Tür blicken konnte. »Versuchen Sie es nicht noch einmal«, sagte Tremper.
»Wie geht es weiter?«
Er gab mir keine Antwort mehr, denn beide hörten wir Schritte.
Die anderen sechs kehrten zurück. Schon kurze Zeit später drängten sie sich in der Hütte zusammen.
Es hatte tatsächlich Schwierigkeiten gegeben, wie sie zu berichten wußten, aber jetzt war alles in Ordnung.
Tremper hatte noch eine Frage: »Habt ihr bemerkt, daß man nach euch forscht?«
»Nein.«
»Okay, dann können wir gleich gehen.«
Die ältere Frau hatte Tee mitgebracht. In einer Thermoskanne hielt sie ihn heiß. Auch Pappbecher waren vorhanden. Sie wurden vollgeschenkt und herumgereicht.
Ich erhielt ebenfalls einen Becher. Die dunkelhaarige Inez brachte ihn mir, dabei scharf von Tremper beobachtet. Ersagte aber nichts.
Auch über meinen Fluchtversuch hatte er nicht gesprochen.
»Können Sie trinken, ohne daß Sie Ihre Hände zu Hilfe nehmen?« wurde ich gefragt.
»Wenn Sie mir helfen.«
Inez setzte mir den Rand des Bechers an die Lippen. »Sie müssen vorsichtig trinken, er ist sehr heiß.«
»Sie sind zu besorgt.«
Das Mädchen hob die Schultern. »Kein Wunder, wenn man eine solche Trumpfkarte wie Sie in der Hand hält.«
Ich trank und mußte Inez recht geben. Der Tee war tatsächlich heiß. Auch bei der Trumpfkarte konnte ich nicht widersprechen.
Die andere Seite würde sich hüten, mich zu töten. Dafür war ich
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