0418 - Die Waldhexe
Sie mir nicht sagen können, wo der Wirt ist…«
Valdez zuckte mit den Schultern. »Der Wirt? Der ist tot… nehmen Sie eines der Zimmer. Da oben… es wird wohl keiner etwas dagegen haben.« Er trank wieder und überlegte, was er tun sollte. Lopez wollte sich mit ihm unterhalten. Der Polizist glaubte die Geschichte vom Staubzerfall der Toten nicht, obgleich er den Staub doch vor sich sehen mußte. Nun, Valdez sah sich nicht gezwungen, sich verhören zu lassen. Wenn er einfach das Dorf verließ, konnte Lopez ihn schwerlich halten. Sollte er es nur versuchen. Valdez’ Beziehungen waren kaum schlechter als die Zoros. Wenn Valdez mit den Fingern schnipste, stauchte irgend ein bestechlicher Offizier diesen Lopez zusammen, daß der künftig aus der Gosse trinken würde. Geld bedeutete Macht, und das ganz besonders in einem so armen Land wie Brasilien. Männer wie Zoro und Valdez nutzten das eiskalt aus.
Und niemand konnte Valdez daran hindern, in Zoros Fußstapfen weiter zu machen. Warum sollte er ein florierendes Geschäft aufgeben? Nur weil Zoro tot war, oder weil eine ominöse Hexe Silvana ihm einen Brief geschrieben hatte und ihn darin warnte? Der Brief war nicht mehr zu finden. Vielleicht hatte er niemals existiert. Vielleicht war das alles nur ein Alptraum gewesen. Ein Traum im Alkoholrausch…
Dann lebte auch Zoro vielleicht noch!
Und den blonden Fremden, der Garifo genannt wurde, und diesen Wolf gab es dann auch nicht…
»Hexe…«, murmelte Valdez, immer nüchterner werdend. Geschwätz! In irgend einem der Zimmer würde auch Hernando vor sich hin schnarchen. Vielleicht sollte Valdez ihn wecken, damit das heutige Tagewerk anfangen konnte. Ein weiteres Stück Wald mußte niedergebrannt werden, und die Dozer mußten herbeigeordert werden, um die verbrannte Fläche zu ebnen und vorzubereiten für die Landnahme.
Zimmer…
Verflixt, war da nicht gerade jemand gewesen und hatte nach einem Zimmer gefragt? Das war doch eine Frau gewesen, mit braunen, goldgesprenkelten Augen. Wo war die denn geblieben?
Etwa einfach nach oben gegangen?
Vasco Valdez schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn, daß es klatschte. Hier stimmte etwas nicht. Er hatte doch immer schon einen Blick für schöne Frauen gehabt, aber bei dieser konnte er sich nicht einmal an ihr Gesicht erinnern, nur an diese seltsamen Augen… Und fast hätte er sie völlig vergessen!
Das gab’s doch nicht.
Eine Frau… die Hexe Silvana…
Eiskalt überlief es ihn. Daß er sich kaum und nur unter Schwierigkeiten an eine Frau erinnern konnte, mit der er gerade erst vor ein paar Minuten gesprochen hatte, das gab’s nicht. Plötzlich flog ihn die Ahnung an, der Hexe Silvana selbst gegenübergestanden zu haben!
Silvana, von der Bastiano ihm nur im Nebenzimmer hatte erzählen wollen! Silvana, die Valdez einen Brief geschickt hatte…
Sie hatte ihn gewarnt! War sie jetzt persönlich gekommen, um zu kontrollieren, ob er auf die Warnung reagierte?
Er riß die Tür zum Treppenhaus auf. »Silvana!« stieß er hervor.
Er bekam keine Antwort.
Er wollte schon nach oben stürmen. Aber dann wich er zurück, weil er sich an das Sterben von Hernando Zoro und Bastiano erinnerte. So wollte er selbst nicht enden. Wenn die Hexe sich angegriffen fühlte und ihn mit ihrer vernichtenden Macht ebenfalls umbrachte…
Nein!
Er stürmte aus der Bodega ins Freie und prallte förmlich mit einer anderen Frau zusammen…
***
Nicole war von dem sichtlichen Desinteresse des Mannes befremdet. Allerdings stellte sie fest, daß sie auch keinen sonderlich großen Wert auf eine Unterhaltung mit ihm legte. Er war totenblaß, bewegte sich fahrig und war unrasiert; sein Haar klebte ihm in feuchten Strähnen am Kopf. Seine Aura war negativ.
Der Wirt tot… niemand, der sich daran störte, wenn sie ein Zimmer bezog?
Vielleicht war es genau das, was sie brauchte. Keiner, der nach ihr fragte. Sie war gekommen und würde wieder gehen und am Abend in den Wäldern veschwinden…
Sie beschloß, sich die Zimmer zumindest einmal anzusehen. Viele konnten es nicht sein, denn die Bodega war nicht gerade groß. Aber besser klein und mit Bett, als überhaupt nicht…
Ohne daß der Mann ihr nachsah, verließ sie den Schankraum zielsicher durch die nur angelehnte Zwischentür, fand sich in einem schmalen Treppenhaus wieder und stieg die knarrende Treppe hinauf.
Ihr leichtes Gepäck wollte sie natürlich nicht draußen im Wagen lassen. Es war zu befürchten, daß es im Laufe des Tages bald
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