0419 - Die Klinik der tödlichen Träume
fragte: »Sie meinen, daß vielleicht Dillard auch herkam, um etwas zu erfahren?«
Barell nickte.
»Und Sie glauben, Dillard will versuchen, seinen Sohn selbst zu finden?«
»Ja. Er ist der Mann, der immer alles selbst in die Hand nimmt. Und in diesem Fall hat er vielleicht ein persönliches Interesse!«
»Wie meinen Sie das?« fuhr ich auf. »Mein Gott, ich darf nicht soviel reden«, meinte Barell verlegen. Ich merkte, daß ihn etwas sehr beschäftigte.
»Mister Barell, jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt für falsche Rücksichten. Entweder Sie helfen uns oder…«
»Ja, sicher will ich Ihnen helfen. Ich glaube, daß Dillard einen anderen Grund hat, seinen Sohn zu suchen. Ihm hat es gut gepaßt, daß er verschwand, und auch, daß er nicht geheiratet hat. Wer immer das tote Mädchen ist!« , »Wenn das zuträfe, was Sie andeuten, wäre Harvey jetzt in Gefahr. Entweder er ist ein Mörder, oder sein eigenes Leben ist in Gefahr!«
»Ja, ich weiß!« sagte Barell so leise, daß wir ihn kaum verstehen konnten.
»Hatte Harvey einen Freund?« fragte ich, »einen Jungen, der in seinem Alter war und ihm vielleicht ähnlich sah!« Barell starrte mich nachdenklich an. In seinen Augen war pin Ausdruck, den ich nicht zu deuten vermochte. Ich wartete auf eine Antwort, Sie kam nach einer langen Pause:
»Irgend etwas war da einmal, ich glaube, er erzählte mir einmal von einem Freund, der ihm ähnlich war, aber ich weiß nicht mehr, wann das war. Ja, er nannte ihn Fred… oder Ted? Es tut mir leid, ich werde alt!« Er lachte leise auf und sagte noch:
»Ich werde darüber nachdenken. Irgend etwas hat mir Harvey einmal gesägt, aber ich habe nicht darauf geachtet. Wenn mir etwas einfällt, melde ich mich.«
Ich nickte, und wir gingen wieder zum Wagen hinüber. Als wir im Jaguar saßen, schaltete ich die Funkanlage ein und bat den Einsatzleiter, zwei Mann zur unauffälligen Überwachung von Barell abzustellen.
***
»Und nun zum Forty Four«, sagte ich munter, als wir wieder in Manhattan waren. Unterwegs hatte ich mir einige Utensilien in einer Drogerie gekauft.
»Ich habe kein sehr gutes Gefühl dabei, Jerry«, entgegnete mein Freund. »Was du da vorhast, das ist ein verdammt riskantes Spiel!«
»Das ist bei Mordfällen so üblich!«
»Ich werde mitkommen!«
»Du kannst dich in der Nähe herumtreiben und den Motor Warmlaufen lassen, kann sein, daß ich plötzlich ein schnelles Auto brauche!«
»Hoffentlich wirst du kein schwarzes Auto brauchen!« knurrte er. Ich überließ ihm wieder das Steuer und fuhr bis zur 57. Straße mit. Dann stieg ich aus und sah meinem Jaguar etwas wehmütig nach.
Als er verschwunden war, winkte ich ein Taxi heran und ließ mich zum Forty Four bringen.
Inzwischen war es dunkel geworden.
Meine Armbanduhr zeigte genau 19.24 Uhr. Ich verglich sie mit der Uhr an dem Armaturenbrett des Taxis.
Sie ging auf die Sekunde genau.
***
Forty Four war eins von den Lokalen, deren Extravaganz sich hinter einer durchschnittlichen Fassade verbirgt. Understatement nennt man so etwas in Fachkreisen. Ich bezahlte den Fahrer und ging durch die einfache Tür, an der nur ein kleines schwarzes Schild mit der silbernen Zahl 44 zeigte, daß ich hier richtig war. Ein junger Mann, der einen Stoß mit Abendzeitungen auf dem Arm hielt, sah mich hineingehen und verschwand sofort in der Tür des Nebenhauses.
Ich kam in einen kleinen quadratischen Vorraum, der durch schwere dunkelblaue Vorhänge vom Lokal getrennt war. Dahinter kam ein zweiter kleiner Raum, der von einer Lampe aus Murano-Glas erhellt wurde. Die Wände waren mit dunkelblauer Seide ausgeschlagen, und ein Mann in dunkelblauem Frack kam auf mich zu und sagte, indem er beide Hände an meine Schultern legte:
»Kann ich Ihren Mantel haben?«
Ich wich blitzschnell zurück, denn seine Hand hatte unmißverständlich nach einer Waffe getastet, und sagte zuckersüß:
»Aber gern!« Ich schlüpfte aus dem Mantel und warf ihn ihm zu. Er fing ihn geschickt auf und reichte ihn dem jungen Mädchen, das im gleichen Moment hereinkam, eine Tapetentür zur Seite schob und meinen Mantel in die Garderobe hängte.
Dann wartete der Mann, bis ich dem Mädchen ein Trinkgeld gegeben hatte, und zog einen zweiten dunkelblauen Vorhang für mich auf.
»Sie sind zum erstenmal hier?« fragte er.
»Ja«, sagte ich, »ein Freund hat mir das Lokal empfohlen!«
»Bitte hierhin, Sir!« sagte ein dunkelblau gekleideter Ober, der mich in Empfang nahm. Ich bemerkte den Blick, den die
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