042 - Die Unsterblichen
wirkte. Die transplantierte Haut der Wilden hatte sich entzündet und sie den Arm gekostet.
»Für diesen Frevel habe ich bezahlt«, flüsterte sie. »Das weißt du genau.«
Ihr Sohn presste die Lippen aufeinander, bis sie einen dünnen Strich ergaben. Seine Worte taten ihm Leid, das konnte sie sehen, doch er entschuldigte sich nicht. Aiko war ganz anders als sein Vater - und eiferte ihm doch in vielen Dingen nach. Meist in denen, die sie verachtete.
Eins musste sie ihrem Sohn aber lassen: Seit sie ihn im Reagenzglas gezeugt hatte, wurde ihr Leben kräftig durcheinander gewirbelt. Keine Spur mehr von der Langeweile früherer Jahrhunderte. Was sie ihm auch riet, Aiko unternahm gewiss das Gegenteil davon.
»Zufrieden mit unserer Arbeit?«, fragte Dr. Carter, der sich in Begleitung einer rothaarige Frau näherte. Sie gehörte zu den neuen Handelspartnern von der Westküste. Nachkommen der politischen und wissenschaftlichen Elite, die in den Bunkern des Pentagon überlebt hatten, ohne geistig zu degenerieren.
Auf der Brusttasche ihrer grauen Uniform prangte ein Abzeichen, das mit dem Symbol versehen war, unter dem im Jahr 2011 die Beratungen über den Einschlag von
»Christopher-Floyd« stattgefunden hatten: eine von einem Kometen-Keil zerteilte Erdkugel, jetzt kombiniert mit den Streifen der US- Flagge. »WCA« prangte in großen Lettern über dem Emblem. Das stand für World Concil Agency.
Weltrat, dachte Naoki verächtlich. Unsere Politiker haben sich wirklich kein bisschen verändert. Mit mütterlicher Eifersucht bemerkte sie, wie die Agentin ihre Augen über Aikos nackten Oberkörper wandern ließ. Ohne ihre Missbilligung zu zeigen, sagte sie laut: »Ich bin erst richtig zufrieden, wenn seine Arme wieder mit Haut bedeckt sind.«
Zumindest dazu hatte sie ihn überreden können. Noch war er ein Cyborg mit überwiegend biologischen Komponenten, der wie ein Mensch aussehen wollte. Die WCA-Agentin verfolgte das Gespräch mit großen Interesse. Sicher gehörte es zu ihrer Aufgabe, möglichst viel über die Enklave in Amarillo herauszufinden.
Ihre Pupillen wirkten seltsam kalt, doch es schwang eine Spur Mitleid in ihren Worten, als sie fragte: »Hatte dieser Mann einen Unfall?«
Aiko zog die Stirn kraus. Er mochte es nicht, wenn man über ihn in der dritten Person sprach.
»Nein, wie kommen sie darauf?«
»Na, wegen Ihrer Prothesen«, gab die Rothaarige zurück, als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt.
Aiko schüttelte den Kopf. »Nein, ich wollte mich einfach nur verbessern.«
»Verbessern?«, echote sie.
»Ja, meine bionischen Arme sind wesentlich leistungsfähiger als die Originale«, erklärte Aiko. »Damit bin ich jedem normalen Menschen an Kraft und Ausdauer überlegen. Als nächstes sind meine Beine dran.«
»Interessanter Standpunkt«, versicherte die Agentin wenig überzeugend. »Falls ich mal mit meinen Armen nicht mehr zufrieden bin, werde ich an Sie denken.« Die Aussage klang neutral, aber ihre Stimme machte klar, dass sie seinen Anblick wenig ansprechend fand.
Peinliches Schweigen erfüllte den Raum, das von Carter schnell überbrückt wurde. »Das ist Lieutnant Lynne Crow«, stellte er die wenig diplomatische Frau vor. »Sie gehört zu der Abordnung des Weltrates, die uns einen Gegenbesuch abstattet. Und ich muss sagen, das Pentagon hat uns ein paar schöne Gastgeschenke mitgebracht. Datenkristalle, modernste Memory-Chips, Neurogitter - alles was das künstliche Herz begehrt.«
Die Rothaarige nickte gefällig, als ob diese technische Unterstützung eine Kleinigkeit wäre. Das Pentagon forschte mit Hochdruck an einem Projekt für virtuelle Realitäten, bei denen ihnen Carters Wissen über neuronale Netze sehr zugute kam. Im Gegenzug erhielt er eine ausreichende Stückzahl für ihn geeigneter Bauteile.
Eigentlich ein Musterbeispiel an Kooperation. Trotzdem verfolgte Naoki die Öffnung ihrer Enklave mit Misstrauen. Was wussten sie schon von den Motiven und Zielen dieser Bunkermenschen? Nichts.
Andererseits besaß sie keinerlei Befugnisse, Carters Forschungen zu unterbinden. Die Gemeinschaft war schon vor zweihundert Jahren darüber eingekommen, dass jeder von ihnen seine eigenen Ziele verfolgen dürfte, solange er seine Meinung keinem Dritten aufzwang.
Lynne Crow hatte inzwischen das Interesse an Aiko verloren. Dafür ließ sie ihren Blick abschätzig über Naoki wandern.
»Darf ich davon ausgehen, dass Sie bei weitem nicht so jung sind, wie es den Anschein hat?«, fragte sie
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