042 - Die Unsterblichen
spitz.
»Ich habe diese Welt schon gekannt, noch bevor uns der verdammte Komet auf den Kopf fiel«, gestand die Unsterbliche, ohne ihr genaues Alter zu nennen. So viel Eitelkeit musste sein.
»Tatsächlich?« Lynnes Lippen kräuselten sich zu einem spöttischen Lächeln. »Stahl hält offensichtlich fit.«
»Nein, Kindchen«, erwiderte Naoki herablassend. »Es hat mehr mit reduzierter Zellspaltung und neuen Organen zu tun. Ihnen würde ich übrigens eine Gen-Kur für Ihre blasse Haut empfehlen. Mir scheint, Sie kommen nicht oft ans Tageslicht.«
Carter schien den Disput der Frauen zu genießen, doch ehe sie sich weitere Spitzfindigkeiten an den Kopf werfen konnten, bat er Lieutnant Crow, die Führung fortsetzen zu dürfen. Seine Begleiterin hängte sich bei ihm ein, als würden sie gemeinsam eine Promenade entlang wandern. Die junge Frau und der wuchtige Cyborg bildeten ein groteskes Pärchen, strahlten aber auch etwas Bedrohliches aus.
Naoki fröstelte.
Nicht zum letzten Mal an diesem Tag.
***
»Was ist eigentlich genau in Amarillo passiert?«, erkundigte sich Aiko, während ihm seine Mutter den Arm verband.
Matt lag die gleiche Frage auf den Lippen, doch er hielt sich zurück. Im Schatten der Felsen stehend hörte er lieber zu, wie sich die Unsterblichen unterhielten. Dann musste er sich hoffentlich nicht mehr so viele Lügen anhören.
Während er auf die Antwort wartete, beobachtete er verwundert den raschen Heilungsprozess von Aikos Wunden.
Nur noch ein roter Punkt erinnerte an die Stelle, an der sein Dorn aus dem Unterarm getreten war. Die Wunde hatte kaum geblutet und sich von selbst wieder geschlossen. Der Cyborg besaß gewaltige Selbstheilungskräfte. Selbst die Hautlappen an seinem Oberarm fügten sich ungenäht aneinander. Es bleiben jedoch rote Striemen, die nur langsam weichen würden.
»Carters Anhänger bedrängen schon seit Wochen die übrige Gemeinschaft«, berichtete Naoki endlich. Die Worte drangen zuerst stockend, dann immer flüssiger über ihre Lippen.
»Bislang bedrohten sie niemanden, aber vor fünf Tagen kam es zum Eklat. Sie brachten die Waffenkammer unter ihre Kontrolle und trieben alle Kollegen zusammen. Carter meinte, sie wären am Ende ihrer Geduld und müssten uns zu unserem Glück zwingen. Er sprach von Zwangsoperationen. Da sie nicht genügend neue Körper für alle haben, sollen die Gedankenmuster in Kristallen gespeichert werden.«
»Das ist doch nicht dein Ernst?«, keuchte Aiko.
Naoki nahm ihm die Worte nicht übel. Im Gegenteil war sie froh, dass er Carter nicht so weit verfallen war, dass er die Handlungen auch noch verteidigte.
»Vielleicht ist es in den Elektronenhirnen zu einer Fehlschaltung gekommen«, startete sie einen hilflosen Erklärungsversuch.
»Und wie können wir gegen diese durch- geknallten Roboter vorgehen?«, erkundigte sich Matt zaghaft.
Naoki und Aiko wandten sich in einer synchronen Bewegung zu ihm um. »Wir?«, fragten sie wie aus einem Munde. Ihre Familienähnlichkeit war nicht mehr zu übersehen.
Matt zuckte mit den Schultern. »Aruula und ich stecken bis über beide Ohren mit in dieser Geschichte, ob es uns nun gefällt oder nicht.« Er sah zu seiner Gefährtin, die zustimmend nickte.
Sie wusste, dass sich Matt gerne einmischte, wenn er irgendwo eine Ungerechtigkeit witterte. Das war einer der Gründe, warum sie ihn liebte.
Sorgfältig strich sie ihre Fellweste glatt, um zu demonstrieren, das sie nicht mehr zu sagen hatte. Sie war wieder etwas fester gekleidet. Seit sie wusste, das Naoki über fünfhundert Jahre alt war, sah sie keine Bedrohung mehr in ihr.
»Ich konnte mich vor Carters Häschern verstecken«, fuhr Naoki fort. »Ich habe versucht, mich in ihre Neuro-Software einzuloggen, konnte aber die Sperren nicht durchdringen. Darum bin ich geflohen. Aiko kommt vielleicht weiter, denn er hat Carter schon oft assistiert. Außerdem rechnet niemand mit ihm. Alle sind überzeugt, dass er spurlos verschwindet wie sein Vater.«
Aiko verzog sein Gesicht bei der letzten Bemerkung zu einer genervten Grimasse, wie ein Halbwüchsiger, der die Vorhaltungen seiner Mutter nicht mehr ertragen kann. Aus der Sicht eines Unsterblichen war er das wohl auch.
»In den Hauptcomputer komme ich auch nicht hinein«, wiegelte er ab. »Aber wenn wir in meine Werkstatt gelangen, kann ich sicher herausfinden, was in diesem Schädel vorgeht.« Er hob Green Threes Kopf aus dem Staub, als könnte er ihm alle Geheimnisse mit bloßem Blick entlocken. Drähte und
Weitere Kostenlose Bücher