0420 - Aibons Schlangenzauber
als ich dem Wesen entgegenschaute.
Es hatte mich ebenfalls entdeckt, hielt seinen Schimmel an und drehte sich auf dem Rücken des hellen, ebenfalls durchscheinend wirkenden Pferdes.
Wir blickten uns in die Augen.
War es der gleiche Engel, den ich in Aibon gesehen hatte? Das war mit Bestimmtheit nicht zu sagen, denn irgendwie glichen sich die Wesen alle. Man konnte sie schlecht auseinanderhalten. Sie waren einfach zu gleich. Die Gesichter feingeschnitten, strömten sie eine gewisse Ruhe und Gelassenheit aus, die uns Menschen fehlte.
Ich war damals auf den Rücken des Schimmels gestiegen und mit ihm in die Lüfte geritten.
Würde mir jetzt das gleiche bevorstehen?
Die Elfe sprach nicht. Auf ihrem Rücken wuchsen dünne Flügel.
Im Licht der Lampe sahen sie aus wie kostbares Glas.
Ich wußte nicht, was sie vorhatte. Einen Grund für ihr Erscheinen mußte es geben, deshalb nickte ich ihr zu. »Was willst du?« fragte ich nach dieser Geste.
Ich erhielt eine Antwort. Es war ein Hauch, fast so wie der Klang der kleinen Glocken. Es schwang mir entgegen, und ich mußte mich konzentrieren, um sie zu verstehen. »Ich suche die Schlange…«
»Ziana?«
»Nein, nicht nur sie, auch ihn.«
»Wen meinst du?«
»Es ist der rote Ryan!«
Die letzte Bemerkung hatte mich getroffen. Der rote Ryan sollte hier sein und nicht in Aibon. Die Elfe mußte wohl mein erstauntes Gesicht bemerkt haben, denn sie erklärte mir die Zusammenhänge.
»Der rote Ryan ist von seiner Schwester verflucht worden. Er wurde zum Mutanten und ist nicht nur äußerlich ein anderer, auch innerlich hat er sich gewandelt. Vom Pfad des Rechts wich er ab. Er gelangte in diese Welt und tötete einen gefallenen Engel. Anschließend eine Frau, und ich bin gekommen, um diesem Morden Einhalt zu gebieten.«
»Du wirst den roten Ryan töten?«
»Ich will, daß er erlöst wird.«
»Wie?«
»Es gibt jemanden, der es kann. Ein Kind. Es wohnt nicht weit von hier. Ein kleines Mädchen mit einer großen Phantasie. Dieses Kind muß ich finden.«
»Weiß das auch Ziana?«
»Ja, sie hat es erfahren.«
»Dann wird sie versuchen, das Mädchen zu töten. Denn sie will nicht, daß der rote Ryan wieder so wird wie früher. Sie selbst hat es mir gesagt, und ich glaube ihr.«
»Daran tust du gut. Ziana ist schlecht, sehr schlecht sogar…«
»Und sie will den Dunklen Gral.«
»Ja, auch die letzten Geheimnisse des Landes Aibon sollen gelüftet werden. Zusammen mit dem Rad der Zeit gibt der Dunkle Gral das, von dem die Menschheit immer träumte.«
»Und das wäre?«
Da lächelte die Elfe weise. »Wenn ich es dir sagen würde, täte ich dir keinen Gefallen damit. Du mußt es herausfinden. Wenn du es tatsächlich schaffst, bist du auch würdig genug, die letzten Geheimnisse zu ergründen…«
Diese Antwort befriedigte mich natürlich nicht. Letzte Geheimnisse! Das hörte sich an wie den Tod überwinden oder immer zu leben und jung zu bleiben.
Verrückt war das. Auch Hector de Valois hatte etwas mit dem Dunklen Gral zu tun gehabt, aber er war auch gestorben und hatte sein Geheimnis nie erfahren können.
»Das Böse steckt in der Schlange!« vernahm ich die Stimme des gefallenen Engels. »Seit Urzeiten ist die Schlange verflucht worden. Sie hat weder Beine noch Hände. Sie mußte sich auf dem Boden bewegen und durch den Staub kriechen und immer damit rechnen, von größeren Lebewesen zertreten zu werden. Aber sie hat sich entwickelt, sie kann sich wehren, sie ist falsch geworden. Sie tut so harmlos, doch die Menschen fallen immer wieder auf sie herein. Hüte dich vor der Schlange, John Sinclair!«
Wieder klangen die Glocken. Aber diesmal, weil die Elfe ihren Schimmel um die Hand drehte und davonritt. Wieder sah ich ihr fasziniert nach. Dabei hatte ich das Gefühl, als würden die Beine des Tieres den Boden gar nicht berühren. Zudem hörte ich kein Geräusch. Es war tatsächlich ein Geistwesen, das davonritt.
Begleitet vom Spiel der Glockenkette. Die Melodie wurde leiser.
Ein letztes Mal schwang sie noch durch den Wald, dann verstummte sie, und ich war wieder allein.
Erst jetzt erwachte ich aus meiner Erstarrung. Aber hatte es Sinn, hinter der Gestalt herzulaufen?
Nein, ich mußte meinen eigenen Weg gehen. Die Elfe hatte mir sehr gute Informationen gegeben. Von einem kleinen, geheimnisvollen Mädchen hatte ich erfahren. Es mußte der Schlüssel zu diesem Fall sein, aber ich kannte weder den Namen der Kleinen noch deren Wohnort.
Allerdings konnte ich mir kaum
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