0424 - Im Zeitstrom verschollen
Lemur. Spontan, als hätte er seit Jahrtausenden unter ungeheurem Druck gestanden, barst der Berg und schleuderte in einer mächtigen Eruption Felsen, Asche und Lava in die umliegenden Täler Der Himmel färbte sich dunkelrot. Die Staubwolken glichen jetzt dichten Schwärmen zusammengeballter Leuchtinsekten.
Die Insel begann zu beben. Wer ein Boot besaß oder eines der ankernden Schiffe erreichen konnte, floh aufs Meer hinaus. Vom Wasser aus bot sich den Beobachtern eine unvergleichliche Szenerie. Der Himmel über Viti Levu schien zu kochen. Große Aschefetzen segelten wie schwarze Vögel über dem Land. In der Stadt brach eine Panik aus, was zur Folge hatte, daß die engen Straßen, die zum Hafen führten, innerhalb weniger Augenblicke hoffnungslos verstopft waren. Menschen kamen zu Fall und wurden von den Nachdrängenden rücksichtslos niedergetrampelt.
Ein paar Gleiter der Inselverwaltung schwebten über der Stadt.
Von Bord dieser Flugzeuge wurde die Bevölkerung über Lautsprecher zur Ruhe ermahnt, aber wenn im allgemeinen Chaos jemand diese Worte überhaupt verstand, so mißachtete er sie.
Weiter draußen im Meer ankernde Schiffe näherten sich der Bucht, um bei der Evakuierung der Bevölkerung zu helfen.
Als die Panik auf Viti Levu und den benachbarten Inseln ihren Höhepunkt erreichte, brach ein zweiter Vulkan aus. Die Erde tat sich auf.
Ein zum Glück inzwischen geräumter Stadtteil verschwand in einer Bodenspalte von zehn Kilometer Länge und drei Kilometer Breite. Die Häuser tauchten darin unter wie im Maul eines Riesen, das ein paar Sekunden lang dampfte, um sich dann wieder zu schließen.
Der zweite Vulkan entstand etwa vier Kilometer südlich von Mount Lemur, er kündigte sein Entstehen mit einem dumpfen, übermächtig klingenden Grollen an. Gleichzeitig wurde die Erde auf Viti Levu von kurzen, krampfartigen Stößen geschüttelt.
Zwischen dem Mount Lemur und einem benachbarten Berg, den die Eingeborenen Santoe-Am nannten, stürzte ein Gebirgszug in sich zusammen Die gesamte Insel schien bestrebt zu sein, ihr Aussehen möglichst schnell und entscheidend zu verändern.
Die ausströmende Lava erreichte die Stadt zum Glück nicht; sie wurde vorzeitig von Felsen und Schluchten aufgehalten. Ein Seebeben entstand, dessen Ausläufer noch an der Ostküste Australiens und in verschiedenen Stationen an der Westküste Südamerikas registriert wurden. In raschen Abständen bildeten sich zwei meterhohe Flutwellen, die jedoch die Schiffe im Gebiet der Fidschi- und Tonga-Inseln nicht gefährden konnten. Ein paar Touristen, die in ihrer Furcht, nicht rechtzeitig auf ein Schiff zu kommen, ins Meer gesprungen waren, ertranken dabei.
Alles dauerte nicht länger als zwei Stunden, aber Augenzeugen berichteten später, diese Zeit sei ihnen wie ein entsetzlich langer Tag vorgekommen.
Als die Beben nachließen, hatten etwa zwei Drittel der auf Viti Levu lebenden Menschen die Insel verlassen. Von Bord der Schiffe aus beobachteten sie, wie die Eruptionen der beiden Vulkane allmählich nachließen. Der Magmastrom kam zum Erliegen. Wie die Blüten zweier prächtiger Blumen, die nach kurzer Pracht abstarben, brachen die Feuersäulen der beiden Vulkane in sich zusammen. Ihr Rumoren war noch Stunden später zu hören.
Die unruhige Erde bebte den gesamten Tag und die darauffolgende Nacht.
Als alles vorüber war, hatte sich Viti Levu verändert.
Nur eines war geblieben: Das Energiegebilde im zertrümmerten Enadatal.
*
Etwa eineinhalb Stunden nach Ausbruch des zweiten Vulkans landete ein Großteil der Wachmannschaften mit ihren Panzern auf einer kleinen Nachbarinsel. Dorthin hatten Reginald Bull und Galbraith Deighton die Flüchtlinge gerufen. Der ersten Panik war die Sorge um die Mitglieder der Zeitexpedition gefolgt, über deren Schicksal man noch völlig im unklaren war.
Sechsundachtzig Mitarbeiter des Projekts wurden vermißt, aber Bull hoffte, daß sie noch am Leben waren. Sobald es möglich war, sollten Rettungsmannschaften ins Gebiet des Mount Lemur vordringen. Spezialroboter, die mit Paratronschutzschirmen ausgerüstet waren, hatten sich bereits dorthin begeben. Bull wartete auf die ersten Nachrichten dieser Maschinen.
Bull und Deighton hielten sich innerhalb eines gepanzerten Shifts auf, den man kurzerhand zur neuen Zentrale erklärt hatte. Auf Drängen des Abwehrchefs hatte Bull seinen Arm von einem Arzt untersuchen und verbinden lassen.
Die Wissenschaftler, mit denen Bull bisher gesprochen hatte,
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