0426 - Tod im Alligator-Sumpf

Sonnenschein.
    »Schau dir Julian an«, sagte Tendyke. »Das Erbe seiner Vorfahren meiner Linie ist in ihm dominant. Es wird viel schneller gehen, als du denkst.«
    ***
    Zamorra erwachte, weil gleißende Helligkeit durch seine geschlossenen Augenlider drang und ihn empfindlich störte. Mit einem Ruck richtete er sich im Bett auf. Seine Hand tastete dorthin, wo das Amulett lag - nein, es lag dort nicht mehr auf der Platte der Nachtkonsole unter der Lampe. Er streckte die Hand aus, um es zu rufen, und es kam nicht.
    Sekundenlang war er orientierungslos. Panische Angst überfiel ihn. Die gleißende Helligkeit, die Funktionslosigkeit des Amuletts, so als sei es von Leonardo deMontagne abgeschaltet worden. -Dann sah er, was die Helligkeit erzeugte, die unheimlich war in ihrer Stärke.
    Nicht die niedergebrannten Kerzen auf dem Tisch, die zwischen den Essensresten und der leeren Weinflasche stand, die sie sich vor ein paar Stunden vom Zimmerservice hatten bringen lassen.
    Nicht die Deckenbeleuchtung.
    Ein Feuerball, oder eine längliche Feuersäule - genau konnte Zamorra es nicht erkennen, denn er war nicht in der Lage, einen direkten Blick auf das Grelleuchtende zu werfen - schwebte im Zimmer, zwischen Bett und Balkontür.
    Lautlos.
    Und da begriff er.
    Das FLAMMENSCHWEWRT war aktiviert worden.
    Jene Verschmelzung aus Nicole Duval und dem Amulett. Nur Nicole brachte es fertig, mit Merlins Stern eine Verbindung einzugehen, die beider Gestalt umwandelte und das Phänomen entstehen ließ, das mangels einer besseren Bezeichnung FLAMMENSCHWERT genannt worden war - der unglaublichen Leuchtkraft wegen, und wegen der magischen Macht, die daraus entstand. Wurde das FLAMMENSCHWERT aktiviert, hatten ihm selbst die Hölle, die DYNASTIE DER EWIGEN und die MÄCHTIGEN zusammen nichts entgegenzusetzen. Das FLAMMENSCHWERT brannte die Schwarzblütigen aus dem Universum, wie ein Wassertröpfchen von der Flamme eines Schweißbrenners verdampft wird.
    Aber dieses FLAMMENSCHWERT, diese ultimate Waffe der Magie, welche selbst Merlin bei der Erschaffung des Amuletts nicht ›programmiert‹ haben konnte, weil auch er davon überrascht wurde, hatte das große Handicap, daß es sich nicht bewußt einsetzen ließ. Manchmal entstand es von sich aus in ausweglosen Situationen, meistens aber nicht. Wenn Nicole versuchte, die Verschmelzung bewußt hervorzurufen, war es ihr bisher noch nie gelungen. Deshalb hatte es bei Aktionen gegen dämonische, übermächtige Wesenheiten niemals Sinn, sich auf das Entstehen des FLAMMENSCHWERTES im kritischen Moment zu verlassen - wer sich darauf verließ, war verlassen!
    Und nun brannte und loderte es heller als die Sonne hier im Hotelzimmer! Deutete das darauf hin, daß es soeben einen dämonischen Angriff abwehrte?
    Kaum hatte Zamorra sich diese Frage gestellt, als das grelle Leuchten jäh in sich zusammenfiel.
    Nachtschwärze hüllte den Raum wieder ein.
    Zamorra hörte Geräusche. Dann flammte das Deckenlicht auf.
    Nicole stand in Schalternähe, das Amulett am Silberkettchen vor ihren Brüsten. Sie strich sich durch das wirre Haar und sah Zamorra an. »Du bist wach?«
    »Natürlich! Bei dem Licht, das du hier machst, kann ja kein anständiger Mensch mehr schlafen… Nici, was ist passiert?«
    Er sprang aus dem Bett und zog sie in seine Arme. Sie lehnte sich an ihn, berührte seinen Rücken. Dann löste sie sich aus der Umarmung, ließ sich in einen Sessel fallen und verschränkte die Beine zum Schneidersitz. »Gibst du mir was zu trinken, chéri? In der Hausbar muß noch etwas sein.«
    Er öffnete die kleine Icebox und deutete nacheinander auf die Flaschen. Aber bevor Nicole noch nicken konnte, waren sie beide gleicher Ansicht, und Zamorra nahm die Flasche Jack Daniel’s heraus. Er füllte zwei Gläser jeweils dreifingerbreit auf und reichte eines davon Nicole. Sie nippte an dem goldgelben Whiskey.
    »Was war los?« Zamorra ließ sich ihr gegenüber auf dem Bett nieder. »Ein Angriff?«
    Nicole nippte wieder und schüttelte dann den Kopf. »Er lebt«, sagte sie.
    »Wer?« stieß Zamorra hervor. Seine Augen weiteten sich. »Cascal? Meinst du Ombre?«
    Nicole nickte. »Sid hat ihn nicht töten können… oder nicht gefunden.«
    »Woher weißt du das, Nici?«
    Ein schwacher Windhauch kam von der immer noch offenen Balkontür herein: es war draßen wenigstens etwas kühler geworden als am frühen Abend. In der Dunkelheit summten draußen zornige Moskitos, die es nicht schafften, einzudringen. Der Geruch eines