043 - Das Beinhaus der Medusa
welche die alten Sagen und Legenden nicht einfach rigoros
ablehnen. Sie sind der Überzeugung, daß ein Körnchen Wahrheit in jedem der
Berichte enthalten ist. Ich bin in diesem Augenblick so weit zu glauben, daß
Gunnar Mjörk eine unheimliche Spur verfolgte.
Er war der Lösung des Rätsels näher, als er Ihnen in seinem Brief gestand.
Er wußte etwas über jene unheimliche Person, die die alten Griechen schon
Medusa nannten. Und Medusa war hier! Leif Rudnik begegnete ihr – und er zahlte
diese Begegnung mit seinem Leben!«
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»Es ist unfaßbar«, murmelte Thor Haydaal. »Haben Sie eine Erklärung dafür,
wie so etwas geschehe n kann?«
Mit diesen Worten warf er einen raschen Blick auf die gräulichen, leblosen
und versteinerten Körper. »Es ist Idiotie!
Wir leben doch im 20. Jahrhundert, zum Donnerwetter!«
Larrys Lippen bildeten einen schmalen Strich in seinem sonnenverbrannten,
markanten Gesicht. »Sie wollen es nicht wahrhaben. Auch ich will es im Grunde
genommen nicht glauben, kann es nicht glauben – und doch fehlt einfach jede
andere Erklärung. Halten wir also an dieser fantastischen Überlegung zunächst
mal fest. Und sie ist schon weniger fantastisch, wenn wir bedenken, was
inzwischen alles geschehen ist. Ein Rädchen greift ins andere: Gunnar Mjörk hat
diese makabre Maschinerie aktiviert. Bewußt oder unbewußt, das entzieht sich
noch unserer Kenntnis. – Wie so etwas geschehen kann? Ich weiß es nicht – noch
nicht.« Und er wies auf die Proben, die er zusammengestellt hatte. »Rudnik
stand vor einem Rätsel. Seine Eintragungen im Notizbuch beweisen es. Er war
überzeugt davon, daß er es mit keinem herkömmlichen Material zu tun hatte Immer
wieder fiel ihm auf, daß offenbar organische Grundstoffe eine nicht
unbedeutende Rolle spielten. Er konnte nicht ahnen, daß diese organischen
Grundstoffe – von der lebenden, menschlichen Haut stammten! – In dem
Augenblick, da das menschliche Auge das Medusenhaupt wahrnimmt, muß es zu
unbekannten chemischen Reaktionen im Körper des Opfers kommen. Es tritt nicht
nur eine Verhärtung der Oberfläche ein. Der Prozeß setzt sich fort bis in die
innersten Schichten des Gewebes. Ich erinnere mich einiger Versuche, die ich im
Labor mal gesehen habe. Wenn man Versuchstieren bestimmte Wirkstoffe aus Haut
und Knochen entzog, dann trat ebenfalls eine Verhärtung oder eine Versteinerung
ein. Das Gewebe wurde hart und brüchig. Wichtige Silikonverbindungen fehlten. Diese
Prozesse waren durch die Beigabe bestimmter Chemikalien künstlich herbeigeführt
worden. Hier aber scheidet – auf den ersten Blick jedenfalls – ein solcher
Vorgang aus. Man spricht auch davon, daß man in bestimmten Situationen
gewissermaßen vor Schreck erstarrt, alles an uns wird steif und spannt sich.
Das ist eine natürliche Reaktion unserer Muskeln. Kraxeln Sie mal auf einen
Berg, Thor, und gehen Sie dann einen sehr schmalen Pfad entlang, der nur durch
einen grob zusammengezimmerten, flachen Holzzaun von einem steil abfallenden
Abhang abgesichert ist. Sie stolpern, rutschen ab und verzweifelt greifen Sie
in den Zaun, der unter ihrem Gewicht nachgibt. Sie werden in diesen Sekunden –
und daran gibt es nichts zu zweifeln – starr vor Angst. Ihr Körper wird in jene
n entscheidenden Augenblicken, wo Sie die gähnende, zerklüftete Tiefe vor sich
sehen, im wahrsten Sinne des Wortes zu Stein. Ihre Muskeln sind hart, Sie
halten den Atem an …«
»Ja, das mag schon zutreffen für eine solche Situation, aber hier …«
Larry ließ den Norweger nicht zu Ende sprechen. »Dieser Schreck, wie eben
geschildert, ist im Verhältnis zu dem, was den Betrachter von Medusas Haupt
erwartet, noch gering. Und es ist eine wissenschaftliche Tatsache, daß Angst,
Entsetzen und Hilflosigkeit zu chemische n Reaktionen in unserem Körper und
damit zu Schäden führen. Viele seelische – und auch körperliche Erkrankungen
sind nur darauf zurückzuführen. – Ich weiß, dies alles hört sich ungeheuerlich
an. Wir sind auf Vermutungen angewiesen. Aber wir sind dem Geheimnis auf der
Spur. Gunnar Mjörk wies uns den Weg. Wir müssen etwas tun, ehe weitere Opfer zu
Statuen werden!«
»Sie denken dabei an eine bestimmte Person, Larry?«
X-RAY-3 nickte. »Gunnar Mjörk erwähnte den Namen Inger Bornholm in seinem
Brief. Wir sollten uns an diesen Hinweis halten. Es wird der schönen Inger
nachgesagt, daß sie die faszinierendste Sammlung auf dem Sektor der Bildhauerei
besitze. Mjörk behauptet
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