0430 - Vampir-Geschwister
noch immer für seine jüngere Schwester Margot verantwortlich und demonstrierte, daß er sie beschützen wollte.
»Denkst du noch an Richard Löwenherz?« fragte Margot leise. »Kannst du dich an ihn erinnern?«
»Wie sollte ich ihn vergessen? Aber er ist längst gestorben.« Der Earl kicherte. »Schließlich war er keiner von uns, nicht wahr?«
Sie nickte nur, legte den Kopf schief, als wollte sie mit dem Mund nach einem in der Nähe hängenden Zweig schnappen. »Er war keiner von uns, aber er wird Nachkommen gehabt haben.«
»Es ist viel Zeit vergangen. Wenn es so gewesen ist, werden sich diese Nachkommen wie der Staub im Wind verstreut haben.«
»Wir suchen sie.«
»Und wenn du sie nicht findest?«
»Mensch ist Mensch - Blut ist Blut.« Sie sagte es voller Ernst und nickte zu diesen Worten. Es war gleichzeitig das Zeichen für sie, den Ort zu wechseln. Lange genug hatten sie es hier im Wald ausgehalten. Sie wollten sich woanders umsehen, wo ihnen die Menschen über den Weg liefen.
Auch in der Finsternis fanden sie sicher ihren Weg. Nicht zum erstenmal gingen sie ihn, erreichten einen schmalen Pfad, der sich durch ein leicht hügeliges Gelände schlängelte und schließlich in einen Weg mündete, den Menschen benutzten, wenn sie spazierengingen und die Ruhe des Waldes genießen wollten.
In der Nacht war der Weg leer und verlassen. Die beiden Wiedergänger brauchten nicht darauf zu hoffen, irgendwann auf Spaziergänger zu stoßen, denn auch für junge Leute -Liebespärchen - war eine Nacht wie diese zu kühl.
Über ihnen bewegte der Wind ein düsteres Mosaik von Wolken. Gewaltige dunkelgraue Haufen wurden wie die Teile eines Puzzles über den Himmel gefegt, und auf einmal gab es so manch blanke Stelle am Firmament. Da waren dann auch die fernen Sterne als leuchtende Fixpunkte zu sehen sowie urplötzlich der Mond.
Als fast volle Scheibe stand er da und wirkte wie das übergroße gelbe Auge eines Zyklopen.
Die Vampir-Geschwister hatten dies sofort bemerkt. Deshalb blieben sie stehen und legten die Köpfe in den Nacken.
»Da ist er!« wisperte Margot.
»Ja, er hat gewußt, daß es unsere Nacht werden wird.«
»Glaubst du?«
»Er ist auf unserer Seite. Der Mond ist die Sonne der Schwarzblüter. Unter seinem Schein blühen wir auf, erleben das neue Gefühl der Kraft und werden es zu nutzen wissen.« Er lachte leise vor sich hin, dann ging er weiter.
Diesmal wesentlich schneller und mit elastischeren Schritten. Der Anblick des Mondes allein hatte ausgereicht, um ihm diese Kraft zu geben, die nicht allein auf ihn beschränkt blieb, denn auch Margot bewegte sich jetzt leichtfüßiger.
Irgendwann - Zeit spielte für sie sowieso keine Rolle - verließen sie den Wald.
Und sie blieben dort stehen, wo das graue Band einer Straße die Landschaft durchschnitt.
Ein flaches Land, so wie sie es in Erinnerung hatten. Es hatte sich zwar vieles verändert, aber die Bodenbeschaffung war die gleiche geblieben.
Es gab den Wald, die Berge, nur war es weniger Wald geworden, die Menschen hatten mehr als die Hälfte der Bäume abgeholzt. Und sie hatten Städte und Dörfer gebaut und Straßen angelegt. Neue Burgen gab es nicht, nur noch Trümmer oder Überreste aus der langen romanischen Epoche.
Sie wußten auch, wo der nächste Ort lag. Eine kleine Ansiedlung. Die Menschen lebten nicht mehr in Zelten oder Hütten, dafür in kleinen Häusern aus Steinen und mit schrägen Dächern. Sie hatten Straßen angelegt und sie so dicht mit Steinen bedeckt, daß die Gebilde auf vier Rädern darüber hinweggleiten konnten.
Mochte sich auch vieles verändert haben, die Menschen aber waren gleich geblieben.
Noch immer strömte durch ihre Adern der rote und für die Vampire so wichtige Lebenssaft.
Ein Zaun hielt sie auf. Er bestand aus drei Reihen Stacheldraht. Das konnte sie nicht aufhalten. Mit ihren trocken wirkenden Händen griffen sie zu, und es störte sie auch nicht, wenn die Spitzen in die dünne Haut stachen. Sie hinterließen Wunden, aus denen kein Tropfen Blut quoll. So leer und trocken waren sie.
Die umzäunte Wiese war leer. Man mußte in dieser Gegend auch Ende März mit Schnee rechnen, deshalb wurde das Vieh erst im April auf die Weide getrieben.
So manches Mal hatten die Vampire sich das Blut des Weideviehs geholt und davon existiert.
Jenseits des Hanges, den sie gingen und der sich lang hinzog, lag die Straße, die zum Dorf führte. Auf dem grauen Band bewegten sich auch in der Nacht die ungewöhnlichen Gebilde
Weitere Kostenlose Bücher