0431 - Kathedrale der Angst
vermischte sich mit dem Schein des Feuers, und das hatten die Templer wohl gewollt, denn der Abbé rief laut dazwischen.
»Ja, Hector de Valois! Vertreibe die Mächte des Bösen aus deiner Stätte. Sie gehört dir. Dir allein!«
Wen er vertreiben sollte, war mir nicht klar, denn es lief genau entgegengesetzt.
Durch die Magie war etwas in Gang gesetzt worden, das sich bisher im Unsichtbaren aufgehalten hatte.
Aus der Finsternis kristallisierte sich etwas hervor. Es stand zwischen dem Eingang und den Templern, war ziemlich groß, pechschwarz und widerlich anzusehen. Seine Augen leuchteten rot, aus der Stirn wuchsen zwei krumme Hörner.
Das war Baphomet! Er hütete diese Kathedrale und verströmte ein Angstgefühl.
Das war nicht alles.
An den schwarzen Felswänden leuchteten in bestimmten Abständen Rechtecke auf.
Bilder…
Zuerst blaß nur, dann intensiver. Auch bunter. Es waren keine strahlenden Farben, obwohl das gesamte Spektrum vertreten war, aber über jedem Bild lag ein düsterer Schleier.
Zwölf Bilder sah ich.
Sie erinnerten mich an Tafeln, die man auch in den normalen Kirchen fand und die vom Kreuzweg erzählten.
War hier das Gegenteil aufgeführt?
Ich bekam einen trockenen Hals, als ich daran dachte. Als meine Blicke über die Motive glitten, schüttelte es mich, denn die Bilder ließen an Scheußlichkeit nichts zu wünschen übrig.
Sie machten Baphomet oder Asmodis alle Ehre.
Ich möchte auf die Motive nicht im einzelnen eingehen, denn viele von ihnen zeigten Menschen in grauenhaften Situationen, wobei sich auch Kinder darunter befanden.
Die Hölle kannte keine Gnade!
Ich bekam bestätigt, weshalb man diese Felsen hier als Kathedrale der Angst bezeichnete. Wenn die Szenen, Bilder und Motive sowie die häßliche Statue auch nicht zu sehen gewesen waren, so mußte man doch ihren magischen, grenzenüberwindenden Einfluß gespürt haben.
Deshalb dieser Name!
Die Templer nahmen es gelassen hin, wenigstens wirkten sie äußerlich so.
Nicht aber Pierre Virni. Er konnte einfach nicht stehenbleiben, ging zur Seite und hatte seine Arme ausgebreitet. Seine Bewegungen wirkten hektisch, er wußte nicht, wo er zuerst hinschauen sollte, aber es blieb einfach nicht aus, daß seine Blicke auch stets die an den Wänden zu sehenden Bilder trafen.
Die Motive machten ihn fertig. Er schrie, als wären die Bilder lebendig. Er sprach mit ihnen, brüllte sie an.
»Geht weg, ihr Verfluchten! Verschwindet! Haut ab, ich will euch nicht mehr sehen!«
Ich überlegte, ob ich die Grenze überwinden und einschreiten sollte, denn Virni brachte durch seine Überreaktion die Beschwörung regelrecht durcheinander.
Abbé Bloch dachte ebenso wie ich. Er handelte auch und hielt den Wirt fest.
Was er ihm sagte, konnte ich nicht verstehen, aber Virni nickte, blickte in meine Richtung und wandte sich dem Ausgang zu. Es war besser, wenn er bei mir wartete.
Ob ich allerdings hier stehenbleiben würde, wußte ich nicht. Immerhin hatte ich bisher nur den Statisten gespielt, und das sollte sich ändern.
Die Templer hatten es sicherlich gut gemeint, aber ob sie die Geister, die von ihnen gerufen worden waren, auch wieder loswurden, war noch ungewiß.
Möglicherweise brauchten sie doch meine Hilfe.
Es sollte anders kommen. Auslösendes Moment dabei war Pierre Virni, der den Rat des Abbés befolgen wollte, aber nicht gelassen wurde, denn seine Bewegungen gerieten ins Stocken, als eine helle Stimme durch die Kathedrale schallte.
»Nein, du bleibst hier, Vater!«
Vater, hatte sie gesagt. Es gab nur eine, die gesprochen haben konnte.
Colette Virni!
***
Pierre Virni hatte den hellen Ruf seiner Tochter vernommen und mußte das Gefühl haben, von einem Peitschenschlag aus dem Unsichtbaren erwischt worden zu sein.
Da er sich nahe des Fackelscheins befand, konnte ich sein Gesicht erkennen, in dem sich die Angst und das Grauen abzeichneten, das dieser Mann verspürte.
Und auch die Enttäuschung oder die Bestätigung einer für ihn schrecklichen Wahrheit.
Bisher hatten sich die Templer an einen bestimmten Rahmen gehalten.
Es war alles gutgegangen, bis zu diesem Zeitpunkt, wo die radikale Änderung eingetreten war.
Sie taten nichts mehr, allerdings drehten sie die Köpfe in die Richtung, aus der die Stimme erklungen war.
Deshalb mußten sie in den Hintergrund der Kathedrale schauen, und dort malte sich wie ein malerischer Schattenriß eine Gestalt ab.
Es war Colette!
Sie stand dort wie eine Herrscherin. In der Nähe mußte eine
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