0436 - Tanz auf dem Scheiterhaufen
zogen sich hinter den Buschinseln zurück, hielten Ausschau und bewegten sich erst dann weiter.
So kamen sie dem Tor immer näher.
Einmal waren sie unfreiwillig hindurchgerast. Diesmal würden sie es freiwillig durchschreiten.
Noch war es nicht soweit. Zwar gelang es ihnen schon, einen Blick durch das Tor zu werfen, aber sie sahen den Mittelpunkt des Innenhofes, diesen Scheiterhaufen, nicht. Er mußte woanders brennen, nur den zuckenden Widerschein erkannten sie und sahen auch die Gestalten, die ihn durchquerten.
Kutten wehten, wenn sie gingen und sich hastiger bewegten. Diese Typen waren ihnen bekannt.
»Das sind die Häscher!« flüsterte Shao.
Suko nickte nur. Noch vorsichtiger näherten sie sich dem Ziel. Tief hatten sie sich geduckt, so daß sie fast im Entengang weitergingen. Beiden war die Veränderung der Atmosphäre aufgefallen. Es lag nicht allein am lodernden Feuer, sondern an der Aura, die sich um das Gemäuer dieser alten Burg gelegt hatte.
Und an der Nacht.
Walpurgisnacht, die Nacht der Hexen…
Das waren ihre Stunden, die Schwärze, die Dunkelheit, aber gleichzeitig der Beginn des Frühlings, der warmen Jahreszeit und der Fruchtbarkeit. Es würde sprießen und wachsen, aus dem Schoß der Erde stieg die Frucht, und die Große Mutter, als Göttin der Fruchtbarkeit, feierte Triumphe.
Sie gab neues Leben, aber sie nahm auch anderes. Ein ewiges Wechselspiel, und Gnade kannte sie dabei nicht. Wen ihre Diner auch als Opfer brachten, es wurde von ihr stets angenommen.
Suko stoppte seinen Schritt. »Willst du mit?« fragte er, als Shao auch stehengeblieben war.
»Wieso?«
»Du kannst auch hier zurückbleiben.«
»Nein, ich bleibe an deiner Seite.«
Suko schaute sie ernst an. »Und du hast keine Furcht vor dem Scheiterhaufen?«
»Müßte ich das haben?«
»Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich werden die Diener der Großen Mutter versuchen, dich auf den Scheiterhaufen zu zerren. Da hatte die alte Genoveva schon recht.«
»Hör auf mit den Späßen!« Shao schüttelte sich und preßte ihre Lippen hart zusammen.
Suko deutete nach vorn. »Wir werden uns im Schatten der Mauer halten und sehr vorsichtig das Tor durchschreiten. Tu mir einen Gefallen und bleib hinter mir.«
»Mach ich.«
»Dann los!« Suko strich über Shaos Wange. Eine Geste, die Mut machen sollte.
Die letzte Strecke war der gefährlichste Teil des Wegs. Wenn jetzt jemand durch eines der Turmfenster schaute, konnte er sie ohne weiteres sehen.
Aber daran hatte keiner Interesse. Das gesamte Geschehen spielte sich auf dem Burghof ab. Dort loderte das Feuer, dort schlugen auch die langen Flammenarme in die Höhe und zeichneten ihr zuckendes Muster auf den Innenhof der Burg.
Es war schon ein ungewöhnliches Gefühl für die beiden, freiwillig durch das Hexentor zu schreiten.
Sie hatten es noch flammenumkränzt und mit dem kalten Gesicht der Großen Mutter gefüllt in Erinnerung.
Jetzt aber war es leer.
Ein völlig normales Burgtor, über dessen Boden höchstens das zuckende Muster der Flammen huschte.
Ohne aufgehalten oder entdeckt zu werden, konnten sie das Tor durchschreiten.
An seinem Ende blieb Suko stehen. Er drehte sich um und brachte seinen Mund dicht an Shaos Ohr, damit sie auch die Worte verstand, die er ihr zuflüsterte.
»Halte du dich noch zurück. Ich werde um die Torecke in den Innenhof peilen.«
»Ja.«
Beide schraken zusammen, als sie plötzlich die schrillen Schreie hörten. So brüllten Hexen, aber ein Schrei übertönte noch den wilden Singsang der anderen.
Ihn hatte ein Mensch ausgestoßen!
Suko drückte sich vor, drehte den Kopf, schaute um die Ecke in den Innenhof und sah zum erstenmal den Scheiterhaufen.
Er war gewaltig. Noch nie in seinem Leben hatte er einen so großen Tanzplatz für Hexen gesehen.
Reisig und Holz waren herbeigeschafft und um einen gewaltigen Pfahl drapiert worden, der aus der Mitte des Scheiterhaufens in die Höhe ragte.
In Ketten hing dort ein Mensch.
Und der schrie um sein Leben, während das Feuer von allen Seiten nach ihm griff…
***
So schlimm hatten sie es sich nicht vorgestellt. Ihre Siegeseuphorie sackte schlagartig zusammen, als sie auf das starrten, das sich ihren Blicken bot.
Der Scheiterhaufen war gewaltig. Kreisförmig angelegt, bedeckte er fast den gesamten Innenhof der Burg, die durch das große offene Tor zu erreichen war, das rechts von ihnen lag.
Aber nicht nur das Feuer sahen sie. Auch Menschen oder menschenähnliche Gestalten trieben sich auf dem Innenhof
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