0439 - Todesspiel in Samt und Seide
Mädchen in die Augen. Sie zuckte nicht mal mit der Wimper.
»Was haben Sie der Polizei erzählt?« fragte ich.
»Gerade genug, um von Humber und Genossen als nette Leute eingestuft zu werden«, meinte Biggers spöttisch. »Humber war etwas erstaunt, Sie hier nicht anzutreffen.«
»Das kann ich mir denken. Hat er die Leiche mitgenommen?«
Biggers hob die Augenbrauen. »Welche Leiche?« fragte er.
»Na, die von Custer natürlich!«
Biggers grinste breit. »Ich war nicht dabei, als die Polypen in die Mansardenwohnung eindrangen. Ich weiß nur, daß sie bald wieder herunterkamen und ziemlich dumme Gesichter machten. Sie fanden nämlich keine Leiche. Jemand hat sich mit uns einen schlechten Witz erlaubt, sagte Humber, ehe er mit seinen Leuten auf Nimmerwiedersehen verschwand, dabei hätte ich schwören mögen, daß der Anrufer tatsächlich Jerry Cotton war!«
»Er hat noch mehr gesagt und getan«, erinnerte sich das Mädchen.
»Und das wäre?« fragte Biggers.
»Er hat jemand auf die Straße geschickt, um nachsehen zu lassen, ob Cottons Jaguar in der Nähe ist. Erst dann gab er sich zufrieden und rauschte ab.«
Biggers schaute mich an. »Wo haben Sie eigentlich den Flitzer gelassen?«
»Der hat gerade Schonzeit«, sagte ich.
Biggers grinste. »Dann geht’s ihm besser als Ihnen!«
»Sie haben den Toten aus dem Wege geräumt«, sagte ich. Das Sprechen kostete Mühe.
»Ja«, gab Biggers zu. »Ich hielt es für das Klügste. Sie unterhielten sich sehr angeregt mit Birdy, das gab mir genügend Zeit dafür. Natürlich sind wir damit noch nicht aller Sorgen enthoben. Wenn Sie nicht wieder auftauchen, wird Ihre Dienststelle nachhaken und hier alles auf den Kopf stellen. Bis dahin werden wir freilich längst das Weite gesucht haben.«
»Sind Sie der Bandenchef?« fragte ich.
Er schüttelte den Kopf. »Nein«, erwiderte er. »Das ist der ›Richter‹.«
»Wer, bitte?«
»Der ›Richter‹«, wiederholte Biggers ernst. »Wir nennen ihn so. Er läßt nämlich keinen umlegen, ohne vorher über ihn zu Gericht gesessen zu haben.« Biggers grinste matt. »Es wird Sie interessieren, daß es in seiner außergewöhnlichen Karriere noch niemals einen Freispruch gab. Er kennt nur ein Urteil: Tod durch Erschießen!«
»Wenn das stimmt, dann ist er kein ›Richter‹, sondern ein Henker!«
»Sie vergessen, daß er es nicht mehr nötig hat, eine Schußwaffe anzurühren«, meinte Biggers.
»Diesen seltsamen ›Richter‹ möchte ich wirklich einmal kennenlernen!«
»Dazu haben Sie noch heute nacht Gelegenheit«, meinte Biggers und holte tief Luft. »Die Verhandlung ist bereits angesetzt. Der ›Richter‹ erwartet Sie!«
***
Es war eine lange Fahrt.
Oder kam sie mir nur so endlos vor, weil ich sie in der Enge des Kofferraums durchstehen mußte? Ich war noch immer gefesselt. Die Hände spürte ich schon nicht mehr. Biggers hatte dafür gesorgt, daß der widerwärtige Knebel wieder den alten Platz einnahm. Der Wagen war schlecht gefedert. Ich merkte genau, wenn es über Kopfsteinpflaster, über Schienen und durch Schlaglöcher ging.
Ein reizender Trip!
Zum Glück wurden die Straßen allmählich besser. Wir hielten häufiger. Das regelmäßige Bremsen konnte nur mit dem Vorhandensein von Ampelanlagen erklärt werden. Gleichzeitig wurde der Verkehrslärm intensiver. Es gab kaum einen Zweifel: wir rollten durch Manhattan.
Ich hatte keine Ahnung, wie lange diese qualvolle Fahrt wirklich dauerte. Endlich, nachdem wir eine halbe Minute über knirschenden Kies gefahren waren, hielt der Wagen. Die Kofferraumklappe wurde geöffnet. Über mir sah ich den' sternenklaren Himmel. Er wirkte aus meiner Sicht etwas verschwommen, denn in meinen Augen standen Tränen des Schmerzes. Zwei Männer hoben mich aus dem Wagenheck und trugen mich ins Haus. Dort legten sie mich auf den Boden und zerschnitten meine Fesseln. Jetzt ging der Schmerz erst richtig los.
Die jäh einsetzende Blutzirkulation machte mir einige Minuten so stark zu schaffen, als wären meine Adern mit Salzsäure gefüllt. Dann ließ der Schmerz nach. Ich öffnete die Augen und schaute mich um.
Ich lag in der Halle einer hochherrschaftlich anmutenden Villa. Die Ölschinken an den Wänden mußten ganze Malergenerationen beschäftigt haben. Es handelte sich fast ausschließlich um Darstellungen antiker Schlachtszenen. Das Getümmel muskulöser Menschen- und Pferdeleiber, das dick aufgetragene Blut und die brechenden Blicke der Sterbenden waren zweifelsohne ein sehr
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