0439 - Todesspiel in Samt und Seide
fragwürdiger Kunstgenuß. Gerade jetzt hätte ich ihn mir gern versagt.
Eine Schuhspitze traf mich in der Hüftgegend. »Aufstehen, Bulle!« sagte eine Stimme. Sie war weder laut noch gehässig, sie war einfach widerlich. Ich wälzte mich zur Seite und kam auf die Beine. Als ich schon glaubte, zu stehen, sackte ich wieder zusammen.
»Er war nicht gut in Form heute«, sagte ein Mann spöttisch. »Hat wohl zuviel getrunken!«
Ich schaute den Sprecher an. Er war knapp vierzig Jahre alt und bewegte gummikauend die Kinnladen.
Der andere Mann war etwas jünger. Er hatte ein Boxergesicht mit plattgeschlagener Nase und kleinen, tückisch funkelnden Augen.
Von Biggers und seiner Nichte war nichts zu sehen. Ich kämpfte mich erneut in die Höhe. Diesmal blieb ich auf den Beinen, wenn auch recht wacklig.
Der Boxer-Dandy baute sich dicht vor mir auf. Er hatte ein ausdrucksloses Gesicht, nicht einmal die Spuren zahlloser Faustkämpfe hatten ihm Charakter geben können. Es war bestenfalls die Runenlandschaft eines wilden, zügellosen Lebens. »Wir haben noch fünf Minuten Zeit«, sagte er. »Mal sehen, wie ich heute in Form bin.«
Seine Faust schoß nach vorn, genau auf mein Kinn zu. Ich hatte den Schlag schon im Ansatz erkannt, aber ich war einfach zu matt, um richtig darauf zu reagieren. Er traf mich hart. Ich ging zu Boden.
»Laß mal«, meinte der Boxer spöttisch, »das wird ihm Respekt beibringen! Erstens muß er wissen, mit wem er es zu tun hat, und zweitens ist es für mich ein Vergnügen, einem FBI-Schnüffler zu zeigen, was ich gelernt habe.«
»Der Chef wird schon auf uns warten!«
In diesem Moment ertönte ein Klingelsignal. »Da haben wir den Salat!« sagte der Mann, der den Kaugummi im Mund hatte. Er kickte mir in die Seite. »Aufstehen, Freundchen, Sie haben lange genug geruht!«
Ich quälte mich in die Höhe. Es schien, als rotierte die Halle in wildem Tempo um mich herum. Das Tempo beruhigte' sich nur langsam. Ich bekam einen Stoß von hinten. Das war mein Freund, der Boxer. »Vorwärts! Marsch!« befahl er. »Der Chef will dich sprechen!«
Ich riß mich zusammen, aber das nützte nicht viel. Meine Beine fühlten sich an, als wären die Knochen gegen Gummischläuche ausgetauscht worden. Ich schaffte es einfach nicht, gerade zu gehen. Flankiert von den Männern, wankte ich in einen Raum, in dem es nur eine einzige Lichtquelle gab.
Diese tiefhängende Deckenlampe beleuchtete einen kahlköpfigen Mann, der im dunklen Anzug hinter einem mit schwarzem Stoff verhangenen Tisch saß. Die Atmosphäre im Zimmer, die strengen, fast asketischen Züge des Mannes und der verhangene Tisch ließen mich im ersten Moment glauben, in das Klubzimmer eines spiritistischen Zirkels geraten zu sein, aber schon in der nächsten Sekunde wurde mir klar, daß ich dem »Richter« gegenüberstand.
Ich konnte nicht erkennen, wer oder was sonst noch im Raum war. Ich hatte allerdings das Gefühl, daß außer dem »Richter« und meinen Bewachern noch mehr Augen meinen wenig imponierenden Einzug verfolgten.
Ich erhielt erneut einen Stoß von hinten und sackte auf einem Stuhl zusammen. Die rotierende Welt kam endgültig zum Stillstand. Ich war in der Lage, wieder ein paar klare Gedanken zu fassen. Sehr leicht fiel mir das in dieser Umgebung freilich nicht.
Der »Richter« war knapp fünfundvierzig Jahre alt. Er hatte ein strenges schmales Gesicht, von der Art, wie man es bei Mephisto-Darstellern schätzt, und dunkle glühende Augen. Seine Lippen waren blaß und schmal. Das Kinn war durch eine tiefe Kerbe zweigeteilt. Er war fabelhaft rasiert. Der Duft seines After-Shave-Lotion drang bis in meine Nase. Zu dem dunklen Anzug trug er eine silbergraue Krawatte. In dem Revers steckte eine weiße Nelke. Die Blume wirkte seltsamerweise nicht belebend; sie verlieh der Szene etwas von der düsteren Melancholie einer Bestattung.
»Sie sind also Jerry Cotton«, sagte er. Seine Stimme überraschte mich. Ich war auf eine dünne, flache Stimme gefaßt gewesen und mußte nun erkennen, daß der »Richter« eine kräftige, wohltönende Stimme hatte, die sich in jeder Umgebung sofort Gehör zu verschaffen wußte. .
»Ja, das bin ich. Und wer sind Sie?«
Er machte eine kleine Kunstpause und sagte dann ruhig: »Mein Name ist Patrick Razer.«
Ich war einen Augenblick so verblüfft, daß ich erst schlucken mußte.
»Patrick Razer«, sagte ich. »Ich hoffte seit langem, sie einmal kennenzulernen.«
Patrick Razer war die unbekannte Größe innerhalb
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