044 - Nach eigenen Regeln
dachte Regder. Solange ich im Zelt bleibe, kann mir nichts passieren.
Trotzdem zuckte er zusammen, als ein Blitz den Zelteingang einen Lidschlag lang erhellte.
Der Donner, der darauf folgte, ließ den Boden erbeben und das Geschirr klirren.
Regder sprang auf und ging zum Zelteingang. Eigentlich wäre es Winell s Aufgabe gewesen, ihn in einem solchen Fall zu verschließen, aber den hatte er ja auf die Con geschickt. Trotzdem nahm Regder sich vor, ihn bei seiner Rückkehr zu bestrafen.
Er löste die Stricke, mit denen die Plane offen gehalten wurde, während erste Regentropfen gegen das Dach klopften. Das Säuseln des Windes steigerte sich zu einem Heulen, das kaum schwächer wurde, als er die Plane über den Eingang fallen ließ.
Ein Schatten glitt über sein Gesicht.
Regder trat erschrocken einen Schritt zurück. Die halb transparenten Planen flatterten wie Fahnen im aufkommenden Sturm.
»Das war nichts«, sagte er zu sich selbst, »nichts außer dem Wind.«
Ein reißendes Geräusch, deutlich hörbar in einem Moment der Stille.
Regder fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen. Seine Hand fand den Würfel in seiner Tasche. Langsam ging er am Rand des Zelts entlang, spürte den Wind auf seiner Haut, Sekunden bevor er den klaffenden Riss in einer Plane bemerkte - und den Lehm am Zeltboden.
Jemand ist hier, erkannte er. Sein Herzschlag dröhnte plötzlich in seinen Ohren und übertönte beinahe den Lärm des Gewitters.
Regder fuhr herum. Das Zelt schien plötzlich voller dunkler Schatten zu sein. Aus allen Ecken hörte er fremde Geräusche, sah huschende Bewegungen, die verschwanden, sobald er sich ihnen zuwandte.
Er streckte den Würfel vor sich aus, drehte sich in Panik immer wieder um die eigene Achse.
»Zeig dich!«, brüllte er über die Donnerschläge hinweg. »Bist du zu feige, um…«
Der Schlag war so heftig, dass er glaubte, sein Kopf würde abgerissen. Er wollte schreien, aber heraus kam nur ein ersticktes, gurgelndes Geräusch.
Regder spürte, wie er auf dem Boden aufschlug. Sein Blick wurde trüb. Verschwommen sah er einen Schatten, der in sein Gesichtsfeld trat.
Er öffnete den Mund, röchelte. Seine Lippen formten stumm ein letzte Wort, bevor die Welt in einem schwarzen Strudel verging.
* Schadenspunkte?
Matt verschränkte die Arme hinter dem Kopf und starrte in die Dunkelheit.
Das Prasseln des Regens, das Krachen des Donners und das Pochen in seinem Bein hatten sich verschworen, um jeden Gedanken an Schlaf im Keim zu ersticken.
Aruula war bereits vor Stunden eingeschlafen.
Er hörte ihr regelmäßiges Atmen neben sich. Manard, dachte er. Dieser Name schien der Schlüssel zum Mord an Morn zu sein. Von ihm hatte der Imperator eine Information erhalten, die wohl zu seinem Tod geführt hatte.
Matt seufzte leise. Sie hatten viel erfahren an diesem Tag, aber noch waren die Tatsachen voneinander isoliert und ließen sich nicht zusammensetzen. Aruula hatte ihm erzählt, dass der Master ein Verhältnis mit T'Russ hatte, was besonders brisant war, da er aus dem Regelwerk wusste, dass eine solche Beziehung zwischen Spielleiter und Spielern streng untersagt war.
Das Buch hatte ihm auch gezeigt, dass die Welt des Spiels wesentlich komplexer war, als er angenommen hatte. Die NSCs, von denen Rinold gesprochen hatte, waren sogenannte Nichtspieler-Charaktere. Sie besaßen keine eigenen Werte, konnten den Spielern jedoch Schadenspunkte bis zum reellen Tod zufügen. Die Regeln listeten seitenweise NSCs auf. Jede Krankheit, jedes Werkzeug und jedes Tier waren darin vermerkt. Es gab sogar Waffen, wie Aruula von Anfang an vermutet hatte, die jedoch nur gegen NSCs, in diesem Fall Tiere eingesetzt wurden.
Die Spieler hatten sich eine ganz eigene, in sich logische Welt erschaffen, in der es für alles eine regelkonforme Erklärung gab. Nur dass ein Spieler den anderen ermordete, schienen sie nicht einkalkuliert zu haben. Im gesamten Regelwerk hatte Matt noch nicht einmal eine Andeutung für einen solchen Fall gefunden.
War es wirklich möglich, dass es seit Jahrhunderten keinen Mord in diesem Tal gegeben hatte?
Aruulas Stimme riss ihn aus seinen Gedanken.
»Kannst du nicht schlafen?«, fragte sie über das Prasseln des Regens hinweg.
»Nein, ich denke über den Mord nach.« Matt stützte sich auf die Ellbogen. »Mir ist eben klar geworden, dass der Master ein NSC ist. Er hat keine eigenen Werte und steht außerhalb des Spiels. Theoretisch könnte er der Mörder sein.« Schemenhaft sah er, wie
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