0441 - Die Nacht der stillen Mörderin
haben nicht die geringsten Hemmungen, Sie zu erledigen. Gegen das ganze Schiff kommen Sie nicht an.«
»Und Sie? Für wen arbeiten Sie?«
Ich konnte ihn nicht sehen, aber ich spürte, daß er grinste.
»Wie Sie schon richtig gesehen haben, Cotton — ich arbeite für Gorgonzola. Vorhin war ich nahe dran, Sie umzubringen, als Sie dabei waren, vor Nevada auszupacken. Aber inzwischen habe ich mir etwas Besseres einfallen lassen.«
»Was ist das?«
»Stellen Sie sich vor — vielleicht ist es mir ganz recht, wenn Interpol sich um Flush und seine ›Ballerina‹ kümmert. Würde Gorgonzola doch viel Mühe ersparen.«
Klang alles sehr einleuchtend — und doch suchte ich nach dem Trick. Freilich ohne ihn zu finden.
»Tun Sie jetzt, was Sie wollen«, sagte er. »Aber beeilen Sie sich. In einer halben Stunde wird es hell.«
Ein harter Gegenstand fiel neben mir auf den Boden. Gleich darauf kletterte der Skipper nach oben. Die Luke wurde geschlossen.
Ich tastete nach dem Gegenstand.
Es war der Schlüssel für die Handschellen.
***
Tun Sie, was Sie wollen — das konnte man wörtlich nehmen, und ich nahm es so. Der Skipper hatte zwar recht! Mit der ganzen Besatzung konnte ich es nicht aufnehmen. Ich konnte höchstens Flush überwältigen und versuchen, die anderen damit in Schach zu halten, aber wenn es ernst wurde…
Ich dachte'aber auch nicht daran, den Weltrekord im Kaltwasserschwimmen zu brechen. Eine dritte Möglichkeit gab es, und die hatte Wayne übersehen.
Ich bewegte mich lautlos am Forecastle vorbei, dem Mannschaftsquartier, vermied sorgfältig das Sichtfeld der Brücke, passierte einen Niedergang und erreichte die Funkbude.
Einen Augenblick wartete ich. Drüben an Steuerbord waren die Lichter der Küste auszumachen. Das Schiff pflügte durch die ruhige nächtliche See. Hier draußen entwickelte der verrostete Eimer erstaunliche Qualitäten — er benahm sich wie ein richtiges Schiff. Die Maschinen hatten einen gesunden Klang.
Ich schob mich an das Bullauge heran. Die Funkbude war leer. Die Skala des Geräts leuchtete grün in der Dunkelheit.
Im nächsten Augenblick saß ich am Gerät und drehte an den Knöpfen. Dann hatte ich die Foxwelle eingestellt. In fliegender Hast begann ich zu morsen:
Von MS Ballerina an Coast Guard
— Hier spricht FBI-Agent Jerry Cotton vom FBI-Distrikt New York — An Bord des Schiffes befindet sich internationale Verbrecherbande — Ersuche Sie um Eingreifen — Standort des Schiffes etwa anderthalb Seemeilen querab von Barnegal Bai / New Jersey — Erbitte Bestätigung.
»Finger weg«, rief eine scharfe Stimme hinter mir. Ich fuhr herum. In der geöffneten Tür stand Nevada Flush, das Gesicht grau vor Wut. »Das wird dich teuer zu stehen kommen, Cotton.«
»Nicht so voreilig«, sagte ich. »Ich habe soeben alles Nötige durchgegeben. In zwanzig Minuten ist die Coast Guard da. Überlegen Sie sich, was Sie tun. Bis jetzt haben Sie Freiheitsberaubung auf Ihr Konto gebracht — bei einem Mord wird die Sache wesentlich unangenehmer!«
Hinter Flush tauchte der Skipper auf. »Da hast du die Bescherung. Der Bursche hat sich befreit und die Küstenwache alarmiert. Wie, zum Teufel, war das möglich?« schnaubte Flush.
»Keine Ahnung. Er muß einen Schlüssel für die Handschellen bei sich versteckt gehabt haben. Wir hätten ihn besser durchsuchen müssen.«
»Hätten…«, wütete Flush. »Und wo ist der Funker? Ein verdammter Saustall ist das hier.« Er flog herum, seine Augen wurden schmal.
»Du kommst mit auf die Brücke, Cotton. Wenn deine Freunde von der Coast Guard wirklich anrollen, dienst du als Zielscheibe. Mal sehen, was ihnen das Leben eines FBI-Mannes wert ist. Wie weit stehen wir ab, Skipper?«
»Anderthalb Meilen!«
»Dann gib Dampf auf die Kessel. Wir müssen Zusehen, daß wir ’rauskommen.«
Wayne stieß mir seinen Fünfundvierziger in den Rücken.
»Vorwärts, Idiot! Das war kein genialer Einfall. Ich an deiner Stelle wäre über Bord gesprungen!«
Es blieb mir nichts übrig, als zu folgen. Der Stein war angestoßen — wie ich es schaffen sollte, nicht überrollt zu werden, war mir ein Rätsel. Meine einzige Hoffnung war, daß Flush seinen kühlen Kopf wiedergewann. Wenn die Coast Guard kam, hatte er keine Chance. Dann gab es nur eines — sich ergeben oder bis zum Ende kämpfen. Im letzteren Fall bedeutete es auch mein Ende. Welche der beiden Möglichkeiten er wählte, hing davon ab, wieviel er bei einer Festnahme riskierte, was er auf sein Kerbholz
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