0442 - Der Blick ins Jenseits
es zugeordnet werden wird, zeigt die Größe, die doch so relativ ist - die Zeit. Wenn es den Menschen gelingt, die Zeit zu überwinden, steht die endgültige Entscheidung dicht bevor. Solange es ihnen aber nicht gelungen ist, muß derjenige, der durch das Jenseits treibt, warten. Immer nur warten und immer nur schmachten; denn seine Seele wird die ewig währende Finsternis kaum vertragen können. Unbeschreibliches Leid wird über sie kommen, bis zur Stunde X.«
Viel hatte ich nicht erfahren, aber das wenige war wichtig genug für mich gewesen.
Ich war also der letzte Träger des Kreuzes. Nach mir würde es keinen mehr geben, und ich konnte auch nicht wiedergeboren werden. Starb ich, war auch das Kreuz vernichtet.
Hier wurde das Sterben als etwas Furchtbares hingestellt. Das glaubte ich aber nicht. War das Sterben nicht erst der Beginn eines neuen Lebens, eines Hineinschwebens in eine andere Zustandsform? Jede Religion sprach davon, und auch ich glaubte daran, daß der Tod nicht das Ende war, sondern der Beginn. Deshalb verspürte ich keine Angst vor dem Sterben. Anders war es mit der Angst vor den Schmerzen, die man unter Umständen erlitt, bevor es soweit war.
Ich wollte trotzdem leben und meinen Fehler wieder korrigieren, denn ich hatte überhaupt das Tor ins Jenseits geöffnet. Himmel, wie konnte ich es wieder schließen?
Natürlich wußte ich es nicht, aber ich hatte einen Verdacht. Das Buch der grausamen Träume, in dem die Struktur der Hölle nachgezeichnet worden war, beschäftigte sich ebenso mit dem Sein und dem Vergehen.
Deshalb mußte wahrscheinlich auch in ihm niedergeschrieben sein, wie ich das magische Hologramm wieder verschließen konnte. Wenn ich das Buch in die Hände bekam, war einiges gewonnen.
Hector de Valois hatte die Wand damals geschlossen, ich hatte sie wieder geöffnet, jetzt mußte sie verschwinden, und so sprach ich den Tod an. »Willst du mich vernichten?«
»Ich bin der Tod!«
»Dann versuche es!« rief ich laut und hielt ihm gleichzeitig mein Kreuz entgegen.
Er sah es, aber er nahm es so gut wie nicht zur Kenntnis. »Das schreckt mich nicht. Ich habe viel davon gehört. Aus der Welt, in der ich lebe und manchmal hervorkomme, um die Träume der Menschen zu beeinflussen, sieht alles anders aus. Da verliert das seinen Schrecken, was zuvor tödlich gewesen ist. Du besitzt keine Waffe. Ich aber habe das Buch, ich kenne die Regeln und werde sie einhalten.«
»Dann sag sie!«
»Knie nieder!«
»Was geschieht dann?«
»Der Streich meiner Sense wird dich köpfen. Meine Kraft wird deinen Schädel anheben und ihn in das Orakel hineinschleudern, bevor dein Körper folgen kann. Hast du das begriffen?«
»So ungefähr.«
»Knie dich hin!«
Ich dachte nicht daran, dieser Aufforderung Folge zu leisten. Hätte ich es getan wäre ich wehrlos gewesen, und der Tod vor mir zuckte zusammen, als ich widersprach. »Freiwillig begebe ich mich nicht in die Hand eines Monsters. Ich bin gekommen, um die Komturei magisch zu entseuchen. Ich weiß, daß hier der Baphomet-Orden gegründet wurde, aber ich sehe nicht ein, daß ich dieser Tatsache Tribut zollen soll. Ich gehöre zum Kreis der Auserwählten, zu den Söhnen des Lichts, denen ich einfach zu kämpfen schuldig bin. So wie sie es getan haben. Ich sah den großen Hector de Valois auf meinem Kreuz. Sein Erscheinen war für mich Hoffnung und Verpflichtung zugleich. Würde ich dir, dem Tod, gehorchen, käme ich mir wie ein Verräter vor. Und meine Freunde habe ich noch nie verraten. Auch wenn im Buch der grausamen Träume mein Schicksal vorgezeichnet sein sollte, ich stemme mich jetzt und hier dagegen an.«
»Du willst die Kräfte unterwandern und hintergehen?«
»So ist es, denn ich habe auch den Teufel unterwandert, der versucht hat, mich in die Hölle zu locken. Ich fühle mich auf dieser Erde sehr wohl, da ich weiß, daß noch zahlreiche Aufgaben auf mich warten. Erst wenn sie erledigt sind, denke ich an einen Eintritt in ein anderes Reich. So aber bleibt für mich noch genügend Platz auf der Erde. Schwing deine Sense, ich werde mich dir entgegenstellen!«
So etwas ließ sich das Skelett nicht zweimal sagen. Wieder hörte ich dieses hohe Pfeifen, als das gekrümmte Sensenblatt wie ein tödlicher Halbmond auf mich niederraste.
Der Tod hatte weit ausgeholt und dabei seinen Knochenarm noch gedreht, so daß die gefährliche Klinge schräg herabfuhr und mit ihrem Radius viel erfassen konnte.
Ich tauchte unter ihr weg. Das Pfeifen steigerte
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