0442 - Der Blick ins Jenseits
Antwort geben konnte, mußte ich mich räuspern. »Er hat laut genug gesprochen, aber noch lebe ich, und du lebst auch, Mädchen.«
Sie lachte mich an. »Mir geht es sogar gut.«
»Das glaube ich dir. Nur darfst du nicht denken, daß dies immer so bleibt.«
»Wieso?«
»Wer sich auf die Versprechen des Teufels verläßt, der ist verlassen. Ich kenne keinen Menschen, dem der Satan so geholfen hätte, wie er es sich gedacht hat. Tut mir leid.«
»Das ist eine Lüge!«
»Nein, ich will mich auch nicht herausreden. Ich spreche da wirklich aus Erfahrung.«
»Du versuchst nur, dein Leben zu retten.«
»Auch das«, gab ich zu. »Aber was hat ein junges Mädchen wie du von meinem Tod?«
Diese Frage hatte Arlette überrascht, und sie gab mir auch nicht sofort Antwort. Statt dessen ging sie einen Schritt zur Seite und schaute auf den Steinboden, der noch gut erhalten war, auch wenn er an zahlreichen Stellen Risse zeigte.
Sie hob mit einem Ruck den Kopf. Ihre Haare flogen dabei. »Er hat mir die Macht gegeben. Zum erstenmal muß ich nicht nur gehorchen, ich kann entscheiden. Das finde ich gut.«
»Kannst du tatsächlich entscheiden?«
Sie trat hart mit dem Fuß auf. »Ja!«
»Nein, das glaube ich nicht. Du mußt tun, was er dir gesagt hat. Und er läßt dich fallen, wenn er dich nicht mehr braucht, darauf kannst du dich verlassen. Ich kenne Asmodis schon sehr lange und kann nur immer wieder vor ihm warnen.«
»So spricht jemand, der schon fast tot ist. Und du wirst bald tot sein, Sinclair.«
»Und wer übernimmt diese Aufgabe?«
»Ich!«
Das überraschte mich. Aber ich zuckte nicht einmal zusammen, weil ich nach wie vor in dieser magischen Fessel der Hölle hing und steif sitzenbleiben mußte.
»Weshalb du?«
»Weil ich ihm einen Dienst schuldig bin.«
»Er hätte es selbst leichter gehabt.«
»Nein, er schaut nur zu.« Da stimmte was nicht. Hatte Asmodis nicht eine hundertprozentige Chance, mich zu vernichten? Das wäre für ihn ideal gewesen, wo ich auf diesem steinernen Thron saß und mich nicht wehren konnte. Was hinderte ihn daran, und weshalb schickte er Arlette vor, die noch nie in ihrem Leben einen Menschen getötet hatte?
Ich konnte es mir nur erklären, daß in dieser Komturei mehr steckte, als man äußerlich sah. Vielleicht gab es noch andere Kräfte, die hier gefangen waren.
Ich lachte leise. »Da siehst du, wie feige dein großer Herr und Meister ist.«
»Das ist er nicht. Er wird mich überwachen. Wenn ich es nicht schaffen sollte, greift er ein.«
»Und es macht dir nichts aus?«
»Nein.«
»Auch nicht, wo du das Kreuz trägst?« Arlette senkte den Blick und schaute an sich hinab. Von draußen drang wieder ein Donnern an unsere Ohren. Das Gewitter mußte sich über diesem Gebiet festgesetzt haben.
»Was spielt das Kreuz für eine Rolle?«
»Es ist ein Zeichen des Guten«, erklärte ich. »Du mußt es kennen und auch wissen, was es bedeutet, wenn man sein Leben danach einrichtet.«
»Aber ich nicht!«
»Dann nimm es ab!«
»Nein.«
»Weshalb nicht?«
»Der Teufel hat mir befohlen, es zu behalten. Ich soll es tragen, mehr nicht.«
»Hatte er einen Grund dafür?«
»Das weiß ich nicht.«
»Eben, Arlette, das weißt du nicht. Ich kann dir noch einmal sagen, daß der Teufel nichts umsonst macht. Aber auch gar nichts. Wenn er dir das Kreuz überlassen hat, geschah dies aus einem bestimmten Grund. Wahrscheinlich ist dieser Grund so schwerwiegend, daß er selbst die Kräfte des Satans übersteigt…«
»Das geht nicht«, unterbrach sie mich schreiend und wütend zugleich.
»Der Teufel ist am mächtigsten. Was immer du auch dagegen sagst, er ist die Gestalt, die eine absolute Herrschaft ausübt. Ich weiß auch, daß er das Kreuz haßt, deshalb hat er es mir ja überlassen. Und wenn du vernichtet bist, John Sinclair, werde ich auch das Kreuz fortwerfen. Es wird in der Semois verschwinden und von ihren Fluten weggetragen werden. Dann hat es dein Kreuz einmal gegeben und dich auch.«
Diese Erklärung war mir viel zu dünn, doch sie hatte sich aus Arlettes Mund verdammt endgültig angehört. Sie fügte auch nichts mehr hinzu, blieb schräg vor mir stehen, beobachtete mich und tastete mich dabei mit ihren Blicken ab, als würde sie überlegen, wie sie mich töten sollte.
Ich konnte in ihr Gesicht sehen. Dunkle Schatten lagen über den Wangen, die auch die Augen erreichten. Dann hörte ich Schritte. Ein leises Aufsetzen irgendwelcher Füße oder Pfoten. Ja, es waren Pfoten, denn aus
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