0442 - Stets, wenn er die Peitsche nahm
vorspielte, aber vielleicht bemühte er sich auch darum, die möglichen Ursachen und Zusammenhänge zu erkennen. Wußte er, wer als Täter in Frage kam?
»Phantastisch«, murmelte er. »Wie konnte das nur…« Er führte den Satz nicht zu Ende und starrte aus verkniffenen Augen ins Leere. Ich wartete auf einige Fragen. Ich wartete vor allem darauf, daß er sich erkundigte, was wir von Canzello gewollt hatten, aber diese Frage kam nicht.
Er holte tief Luft. Seine Augen öffneten sich zu normaler Weite. »Canzello hat gelegentlich für mich gearbeitet«, sagte er. »Ich kannte ihn gut. Er war ein etwas rauhbeiniger, aber zuverlässiger Bursche. Ich bedaure das tragische Schicksal, das ihn ereilt hat, aus vollem Herzen.« Er räusperte sich. »Soviel mir bekannt ist, schätzt man Sie innerhalb Ihrer Organisation als clevere und tüchtige G-men. Wie kommt es, daß es Ihnen nicht gelungen ist, den Täter zu fassen?«
»Er hatte einen Vorsprung von zwanzig, dreißig Sekunden — und den Lift«, sagte ich. »Das genügte ihm, um unerkannt aus dem Haus zu gelangen.« Murelli nickte betrübt. Dann schaute er mich an. »Ich weiß, was Sie von mir wünschen? Sie wollen hören, ob ich Ihnen einen Hinweis auf den Täter geben kann. Tut mir leid, Cotton, die Nachricht von Canzellos Tod hat mich völlig überrumpelt.«
»So schwer kann es doch wohl nicht sein, einen Anhaltspunkt zu finden«, meinte Phil spöttisch. »Sicherlich steht der Mord in einem Zusammenhang mit dem Job, den er heute zu erledigen hatte.«
Murelli lächelte distanziert und fragend. »Pardon — aber von welchem Job sprechen Sie?«
»Ich beziehe mich auf die Entführung von Liza Goddenham und Percy Stout«, sagte Phil.
»Was sind das für Leute?« erkundigte er sich mit mildem Interesse. Ich war sicher, daß Murelli diesmal schauspielerte, aber diese Überzeugung reichte nicht aus, die Ermittlungsarbeit zu forcieren. Wir hatten keine Möglichkeit, Murelli hart anzufassen. Es genügte nicht zu wissen, daß er ein Gangster war; wir mußten ihm das konkret nachweisen.
»Mit anderen Worten«, sagte ich, »Sie haben Canzello keinen Auftrag gegeben…«
»Nicht gestern und nicht heute«, sagte er.
»Wann haben Sie das letzte Mal mit ihm gesprochen?« wollte ich wissen.
»Lassen Sie mich nachdenken«, meinte er und legte einen Finger an die Lippen. »Jetzt fällt es mir wieder ein. Vor drei Tagen. Er erkundigte sich, ob ich Arbeit für ihn hätte.«
»Welche Aufträge ließen Sie ihm immer zukommen?« erkundigte ich mich. Natürlich wußten Phil und ich genau, worin Canzellos Arbeit bestanden hatte. Ich wollte lediglich beobachten, wie Murelli auf die Frage reagierte. Er tat es prompt mit den gewohnten Ausflüchten. »Ich benutzte ihn als Boten für schwierige Fälle«,’ sagte er lächelnd. »Er kassierte Rechnungen bei säumigen Zahlern. Sie wissen, daß Canzello es verstand, eine ziemlich drohende Haltung einzunehmen. Er war genau der Typ, der anderen Menschen Furcht einflößt. Canzello brauchte nicht einmal zu drohen oder sonderlich deutlich zu werden. Wer ihn sah, beeilte sich, zu zahlen.«
»Ein sehr nützlicher Mann also«, sagte ich.
Murelli seufzte. »Es wird nicht leicht sein, passenden Ersatz für ihn zu finden.«
»Wie schade«, meinte Phil. »Uns bleibt die Hoffnung, daß Sie doch noch einen guten Nachfolger finden.«
Murelli lächelte dünn. Er war kein Mann, der sich durch Spott verletzen ließ. »Ich werde mich darum bemühen«, versicherte er.
Wir wechselten noch einige Sätze — es war der übliche vorsichtige Schlagaustausch, bei dem sich jede Seite bemühte, keine Blöße zu zeigen. Als wir uns von Murelli verabschiedeten, nahmen wir lediglich die Überzeugung mit, daß er uns in der üblichen Weise belogen hatte, daß Canzellos Tod für ihn aber tatsächlich eine Überraschung bedeutete.
***
Der Mann, der auf einem Tablett das Abendessen brachte, trug die Kleidung eines Dieners — dunkle gestreifte Hosen und eine Jacke von untadeligem Weiß. Er stellte das Tablett auf dem Stuhl neben dem Bett ab. Dann löste er mit einem Ruck das Heftpflaster von Percy Stouts Mund. Anschließend machte er die Handfesseln los. Er hantierte dabei sehr vorsichtig, offenbar darauf bedacht, dem möglichen Zugriff des jungen Mannes zu entgehen.
Aber Percy hatte gar nicht die Kraft, einen Angriff zu versuchen. Er war völlig erschöpft und beschränkte sich darauf, die schmerzenden Handgelenke zu massieren. Im übrigen war er noch mit den Füßen
Weitere Kostenlose Bücher