0442 - Stets, wenn er die Peitsche nahm
verabschiedeten uns und gingen.
»Die Kleine tut mir leid«, sagte ich, als wir kurz darauf in meinen Flitzer kletterten. Phil hob die Schultern und ließ sie wieder fallen. »Ich habe gelernt, großen, unschuldig wirkenden Augen zu mißtrauen«, meinte er.
»Ich gebe zu, daß die verschwundenen Streichhölzer sie belasten«, sagte ich.
»Das ist nicht alles«, warf Phil dazwischen. »Sie lügt. Sie lügt wie gedruckt. Das ist dir doch klar?«
»Ja, das ist mir klar«, nickte ich. »Aber wir können es nicht beweisen…«
»Noch nicht«, sagte Phil. »Warten wir ab, was die Fingerabdruckexperten her-, ausfinden.«
»Okay.« Ich drückte auf den Starter. »Auf zu Murelli.«
Murellis Burg stand am Riverside-Drive. Es war nur eins von den vielen Häusern, die er besaß, aber er bevorzugte dieses wegen seiner Größe. Vorher hatte es einem passionierten Kunstsammler gehört. Murelli hatte das Haus mit den darin befindlichen Schätzen gekauft und sich einige Kenntnisse angeeignet, die es ihm ermöglichten, Besucher mit seinem »fundierten« Wissen zu beeindrucken.
Wie üblich war es nicht ganz einfach, bis zu Murelli vorzudringen. Das System, das zu seiner Sicherheit entwickelt worden war, umschloß einen Stab durchtrainierter Leibwächter, von denen jeder so aussah, als sei er mit Frankenstein blutsverwandt.
Murelli empfing uns in seinem Arbeitszimmer, einem großen lichten Zimmer, dessen moderne Einrichtung einen schreienden Gegensatz zu den antiken Möbeln und Kunstschätzen bildete, die den Charakter des übrigen Hauses bestimmten. Auf dem Stahlschreibtisch standen fünf weiße Telefone; sie waren mehr als repräsentative Kulisse, denn immerhin verwaltete Murelli ein Wirtschaftsimperium von beträchtlicher Macht. Im Laufe der Jahre waren so schätzungsweise siebzig Prozent dieser Betriebe auf' legale Grundlage gestellt worden; sie zahlten ordnungsgemäß ihre Steuern und dienten Murelli als Aushängeschild für seine geläuterte Moral.
Diese Fassade täuschte freilich nicht darüber hinweg, daß er seine Macht mit Gewalt, Betrug und Erpressungen erworben hatte, und sie ließ auch nicht vergessen, daß er bis zur Stunde keine Gewalttat scheute, um seine Position zu festigen und zu verbessern.
Murelli war ein Mann von untadeliger Eleganz. Man sah ihm an, daß seine Eltern aus dem Süden Europas eingewandert waren. Von ihnen hatte er den mittelgroßen Wuchs und einen klassisch geschnittenen Kopf mit dunklen lebhaften Augen abbekommen, und einen Geschmack, an dem es nichts zu rütteln gab. Anzug, Hemd, Schlips, Schuhe — alles war hervorragend aufeinander abgestimmt und hätte selbst einen konservativen Engländer zu beifälligem Kopfnicken veranlassen können.
Murelli war noch keine fünfzig Jahre alt; er fand trotz seiner vielfältigen Aufgaben noch genügend Zeit für Golf und Tennis, so daß er eine gesunde braune Gesichtsfarbe hatte, die vorteilhaft mit dem dichten silbergrauen Haar kontrastierte.
Er begrüßte uns weder kühl noch freundlich; er hielt viel von würdevollem Auftreten und verstand es prächtig, jeden Besucher durch seine geschliffene Art zu beeindrucken. Uns konnte er damit freilich nicht imponieren, wir wußten, daß auch das nur Fassade war.
Wir setzten uns in eine lederne Klubgarnitur, die um einen niedrigen Tisch mit dicker runder Kristallglasplatte gruppiert war. Murelli warf einen kurzen Blick auf seine Uhr.
»Sie haben sich für Ihren Besuch eine etwas ungewöhnliche Zeit ausgewählt«, sagte er lächelnd. »Darf Ich daraus schließen, daß diesem Besuch ein ungewöhnlicher Anlaß zugrunde liegt?«'
»Canzello ist tot«, sagte ich. Ich warf ihm den Brocken ohne Einleitung hin. Ich wollte sehen, wie er darauf reagierte.
Murelli war ein Mann, der sich eisern in der Gewalt hatte. Aber diese Nachricht traf ihn so unvermittelt, daß er Wirkung zeigte.
Seine Augen traten nach vorn, als wollte er die Basedowsche Krankheit demonstrieren. Er öffnete den Mund und schloß ihn wieder. »Soll das ein Witz sein?« fragte er schließlich.
»Wir waren dabei, als es passierte«, informierte ich ihn. »Es klingelte, und er ging in die Diele, um die Tür zu öffnen. Kurz darauf hörten wir einen dumpfen Fall. Als wir in die Diele kamen, war es schon geschehen. Er hatte ein Messer im Herz.«
Murelli lehnte sich zurück. Er atmete schnaufend, wie nach einem anstrengenden Lauf. Die Augen hatte er halb geschlossen. Vielleicht war er ein glänzender Schauspieler, der uns nur eine Komödie
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