0444 - Die Nonne mit der Teufelsklaue
ihnen. Die waren aus London gekommen, um den Fall aufzuklären, und sie wußte, daß die Männer von einem anderen Kaliber waren als die Konstabler aus den Dörfern.
Besonders der jüngere, blonde Mann hatte ihr nicht gefallen. Auf den mußte sie achten, denn von ihm ging eine gewisse Gefahr aus.
Vielleicht sollte sie ihn ausschalten.
Karen hatte ihre Mutter belogen. Sie fuhr nicht ins Dorf. Ihr Ziel lag woanders. Mit einem Auto hätte sie die Abkürzung nicht nehmen können, aber mit dem Fahrrad kam sie durch. Sie schlug sich an der rechten Straßenseite in den Wald, mußte das Rad erst schieben und erreichte nach Durchdringen des Unterholzes endlich den schmalen Pfad, der in einem weiten Bogen um den Ort herum und zum Moor führte. Auf dem Weg kam man aber auch zum Friedhof!
Dort genau hatte sie den ersten Kontakt zur Nonne aufgenommen. Schon Wochen zuvor hatte sie immer ihren Ruf vernommen, war ihm aber erst später gefolgt.
Auch an diesem Morgen wollte sie wieder mit ihr reden und über die Ankömmlinge sprechen.
Die Radelei fiel ihr schwer. Der Weg war feucht und uneben.
Manchmal, wenn sie nach links schaute, konnte sie einige Hausdächer sehen. Dort lag der Ort, in dem sie sich vorläufig nicht blicken lassen wollte.
Es dauerte nur Minuten, dann hatte sie ihn passiert. Der Weg beschrieb einen fast rechten Winkel und führte jetzt geradewegs auf den alten Friedhof zu.
Die Mauer war nicht überall vorhanden. An einigen Stellen war sie eingerissen, so daß Karen fast über das gesamte Gelände schauen konnte, bis zum Eingangstor.
Und das stand offen.
Sofort bremste Karen ab. Mißtrauen stieg in ihr hoch. Sie wußte, daß die Handwerker an diesem Tag nicht arbeiteten, und auch der alte Totengräber lief am Morgen kaum auf dem Friedhof herum.
Also waren andere Menschen da.
Karen stellte sich in die Pedalen, reckte noch ihren Hals und sah vor dem Eingang den Rover.
Diesen Wagen kannte sie. Er gehörte dem blonden Mann aus London. Was hatten er und sein Begleiter auf dem Friedhof zu suchen?
Wußten sie vielleicht um das Geheimnis des Grabs?
Das Mädchen spürte ein Kribbeln auf seinem Rücken. Sie stieg ab und lehnte das Fahrrad an die Friedhofsmauer. So konnte es wenigstens nicht entdeckt werden.
Auch sie sollte man nicht sehen, deshalb duckte sie sich und blieb in Deckung, als sie den Friedhof betrat.
»Keine Angst, Bethsame«, flüsterte sie, »ich werde dich beschützen, meine Teure…«
***
Ratten also!
Widerliche, hungrige, fette Ratten, die in dem Steinsarg wohl nur darauf gewartet hatten, daß ihn irgend jemand öffnete. Das waren ausgerechnet wir gewesen.
Wie Father Ignatius reagierte, konnte ich nicht sehen, weil ich genug mitmir selbst und der Abwehr dieser verdammten Biester zu tun hatte. Sie sprangen mich zwar nicht alle an, aber die drei, die es taten, reichten.
Ihre Zähne hackten in den dünnen Stoff der Leinenjacke, und ich mußte einer Ratte das Genick brechen, um sie überhaupt abzuschütteln. Sie fiel wieder in den Sarg.
Die anderen aber sprangen oder krabbelten hoch, um das Grab zu verlassen.
Wir hatten vorläufig Ruhe. Ob sie die Gruft verlassen hatten, konnten wir nicht sehen.
»Verdammt!« Ich hörte Father Ignatius schimpfen. »Das hat mir überhaupt nicht gefallen.« Er hob einen Arm und zeigte mir seinen blutenden Handrücken. »Wie kamen die Ratten in den Sarg?«
Ich hob die Schultern. »Du wirst sie schlecht fragen können, aber es würde mich auch interessieren.« Diesmal hatte ich Zeit genug, um die kleine Lampe hervorzuholen. Sie war sehr lichtstark, und ich leuchtete den Sarg aus.
Er war leer.
Nicht einmal Knochenreste sahen wir, auch keine Asche.
»Das verstehe, wer will, ich nicht.«
Mein Lächeln fiel schmal aus. »Die Nonne scheint uns hier einen kleinen Streich gespielt zu haben.«
»Vielleicht ist der Streich schon bei ihrem damaligen Begräbnis begangen worden!« vermutete mein Freund.
»Kann sein.«
»Und wer hat die Ratten in den Sarg gesteckt?«
»Frag mich was Leichteres«, erwiderte ich.
Da der Mönch mir keine Antwort gab, blieb es zwischen uns ziemlich still. Wir lauschten und hörten über uns das Trippeln der kleinen Rattenfüße. Diese verfluchten Biester tobten sich in der Gruft noch aus. Zum Glück sprangen sie uns nicht an.
Father Ignatius machte den Anfang. Er stieg zuerst auf den Sargrand. Von dort hatte er es leichter, die Gruft zu verlassen. Die Spitzhacke nahm er mit.
Ich leuchtete noch einmal den Sarg ab, hatte aber nichts
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