0444 - Die Nonne mit der Teufelsklaue
Jennifer hatte sich auch immer wohl gefühlt, doch seit drei Tagen war ihr auch dieses Haus nicht mehr sicher genug.
Sie kam sich vor wie der Mittelpunkt eines permanenten Alptraums aus Angst.
Und der hielt nicht nur an, er verstärkte sich, sobald es dunkel wurde.
Schon bei Einbruch der Dämmerung saß die Frau in der oberen Etage am Fenster und schaute über die letzten Kronen der Bäume hinweg auf das weite Moor, das als gewaltige braun-grüne Fläche vor ihr lag. Man sah ihm nicht an, wie tückisch es war und wie viele Opfer schon ihr Leben darin ausgehaucht hatten.
Einer der wenigen, die die Wege durchs Moor kannten, war ihr Bruder Jack gewesen. Sie selbst traute sich nicht, das Gebiet zu betreten. Das Fenster hatte sie geöffnet. Der Abendwind wehte ihr den Geruch entgegen. Manchmal roch sie die Frische des noch jungen Blattwerks, dann wiederum brachte der Wind den Gestank der Fäulnis aus dem Moor mit. Ein widerlicher Geruch, an den sie sich nie gewöhnen würde.
Seit dem Tod ihres Bruders war das Haus so leer und einsam geworden. Niemand war da, mit dem sie sprechen konnte, und so blieb sie mit ihren trüben Gedanken allein.
Ruhig war es nie im Haus. Als Baumaterial war Holz verwendet worden, und das arbeitete. Irgendwo knackte es immer.
Neben dem Haus befand sich die Hundehütte. Dort lag Kevin, ein deutscher Schäferhund, der ebenfalls getrauert hatte, als Jack verstorben war.
Die Dunkelheit nahm zu. Von der feuchten Moorfläche stieg der Dunst allmählich in die Höhe und überdeckte das gesamte Gebiet wie ein tückischer Schleier. Jetzt war es selbst für einen Kundigen lebensgefährlich, durch den Sumpf zu gehen. In der Nacht war selbst ihr Bruder immer im Haus geblieben.
Als die Konturen des Waldes und die des Moores verschwammen, stand auch Jennifer McFarlaine auf. Sie wollte nicht mehr nach draußen sehen und sich lieber hinlegen. Vielleicht war es ihr möglich, in dieser Nacht einmal zu schlafen.
Der alte Stuhl beschwerte sich quietschend, als Jennifer aufstand und das Zimmer durchquerte. Sie öffnete die Tür und trat in den Flur. Noch vor wenigen Wochen hatte sie den Holzboden mit einem Teppich bedecken lassen, so daß ihre Schritte so gut wie nicht zu hören waren. Sie ging die Holztreppe hinab und hielt sich dabei am Geländer fest.
Im Wohnraum, wo die Geweihe und Trophäen des Verstorbenen an den Wänden hingen, ließ sie sich in einem Sessel nieder. Sie knipste nur eine Lampe an und schaltete dann die Fernbedienung des Fernsehers ein.
Ein Krimi lief, den sie nicht sehen wollte, und sie schaltete deshalb um.
Die Diskussion auf dem anderen Kanal interessierte sie auch nicht, trotzdem ließ sie das Programm laufen, weil sie einfach Stimmen hören wollte, auch wenn sie sich nicht an der Diskussion beteiligen konnte. So hatte sie nicht das Gefühl, allein zu sein.
Wieviel Zeit vergangen war, wußte sie nicht. Jennifer bemerkte kaum, daß ihr die Augen zufielen und sie einschlief. Doch es war ein unruhiger Schlaf, und sie glaubte sogar, die Stimme ihres Bruders zu hören, der davon sprach, daß sie sich bald wiedersehen würden.
»Das Jenseits wartet, Schwester…«
Die geflüsterten Worte schreckten sie hoch. Sie stand auf, spürte den Schwindel, ließ sich wieder in den Sessel fallen und hörte auch das Rauschen. Das Programm war zu Ende. Sie schaltete deshalb den Kasten aus.
Stille überfiel sie.
Die Frau empfand sie als schlimm und beklemmend. Auf ihrer Stirn lag kalter Schweiß.
Der Wind hatte aufgefrischt. Er fuhr gegen die alten Fensterläden und spielte mit ihnen, daß sie klapperten. Für Jennifer hörte es sich an, als wäre ein Geist dabei, Eintritt in das Haus zu verlangen.
Wieder dachte sie an die geträumten Worte ihres Bruders. Er hatte ihr eine Botschaft geschickt und von einem Wiedersehen gesprochen. Konnte so etwas überhaupt angehen? Hatte Jack seiner Schwester indirekt die Todesstunde angezeigt?
»Sterben!« flüsterte sie und faltete die Hände.
»Sterben wäre nicht schlecht. Dann hätte ich diese schlimme Welt verlassen und würde mich in einer anderen wohl fühlen. Ja, es wäre gut, wenn ich sterben würde. Oder…«
Sie wußte selbst nicht, aus welch einem Grund sie die Worte ausgesprochen hatte, doch tief in ihrem Innern mußte eine gewisse Todessehnsucht stecken.
»Ja, Jack«, sprach sie ins Leere. »Vielleicht komme ich zu dir. Aber ich möchte dich erst beerdigen, dann werden wir uns wiedersehen. Das verspreche ich dir.«
Nach diesen Worten hatte
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