0448 - Der Nebel-Henker
Auch Nicole und die Zwillinge waren inzwischen aufgetaucht. Die stämmigen und streitsüchtigen Dorfburschen, vor allem der Breitschultrige und der, dem das Messer gehörte, waren mittlerweile schon wesentlich friedlicher geworden. Sie sahen wohl ein, daß sie jetzt ganz, ganz kleine Brötchen backen mußten, um noch einigermaßen glimpflich davonzukommen.
Zamorra wies sich aus. Pierre Lanart lachte ihn an und die Dorfburschen aus. »Ein Zuhälter mit Doktortitel, der gleichzeitig Außerordentlicher Professor ist und als Gastdozent an der Sorbonne lehrte? Wollt ihr eure Geschichte nicht noch mal ein bißchen abwandeln, Freunde?«
Er wandte sich wieder Zamorra zu. »Erstatten Sie Anzeige?«
»Wegen ehrenrühriger Beleidigung und Sachbeschädigung«, sagte Zamorra und wies auf die eingeschlagene Scheibe seines BMW. »Ansonsten habe ich ja so gut wie nichts abgekriegt. Und wir wollen den Jungs doch ihre Chance geben, nicht wahr?«
Lanart grinste und dachte an die Abreibung, die dieser Professor der Parapsychologie, dieser Vertreter einer knochentrockenen Wissenschaft, diesen Typen verpaßt hatte, bevor sie ihn niederzwingen konnten. Die hatten eigentlich ihr Fett weg, und wenn der Professor die Sache soweit auf sich beruhen lassen wollte, hatte Lanart kein Interesse daran, sie weiter zu verfolgen. Trotzdem ließ er die Männer erst einmal nach Bordeaux abtransportieren. »Reine Vorsichtsmaßnahme, Professor«, sagte er hinterher. »Wenn die sieben hier bleiben, sind Sie vor ihrer Rache trotzdem nicht mehr sicher. Ich gehe davon aus, daß Sie deshalb proforma Anzeige erstatten und die morgen früh wieder zurückziehen. In der Zwischenzeit können Sie sich in Sicherheit gebracht haben.«
»Ist das nicht auch eine Art von Freiheitsberaubung?« fragte Zamorra vorsichtig an.
Lanart zuckte mit den Schultern. »Ich könnte sie auch in die Sümpfe bei Mont-de-Marson werfen, aber was hätten wir alle davon? Wissen Sie was? Wir gehen rein und trinken auf Ihren Kampf erst mal einen Cognac, den ich ausgebe!«
»In dem Laden kriege ich keinen Cognac, weil auch der Wirt mich für einen Zuhälter hält«, behauptete Zamorra.
Lanart lachte. »Wetten, daß es da gleich eine fürchterliche Meinungsänderung gibt? Und was trinken die Damen? Likör?«
»So was klebrig-süß Schlaffes?« wunderte sich Nicole, »wir sind für Gleichberechtigung. Wenn Zamorra einen Cognac bekommt, dann wir auch!«
»Wenn«, unkte Zamorra, der sich noch deutlich an die abweisende Haltung des Wirtes erinnerte.
Aber dann standen sie an der Theke, und Zamorra trank seinen Cognac mit Genuß.
Es tat gut, zwischenzeitlich auch mal wieder wie ein Mensch behandelt zu werden und nicht wie lästiges Ungeziefer!
***
Vor dem Cognac hatten sie noch zwei Doppelzimmer bekommen, ihre durchnäßte gegen trockene Kleidung ausgetauscht und heiß geduscht, um einer drohenden Erkältung vorzubeugen. Jemand war auch so einfallsreich gewesen, über die zerschlagene Fensterscheibe des BMW eine Klarsichtfolie zu kleben, die zwar nicht mehr so klare Sicht bot wie Glas, aber dafür verhinderte, daß Regenwasser ins Fahrzeuginnere kam. Plötzlich herrschte ein geradezu ehrfürchtiges Klima in der Schankstube. Einen Professor mit seiner Assistentin und zwei »Studentinnen«, die noch dazu bildhübsch waren, sah man hier auch nicht alle Tage, und das war doch schon etwas viel Angenehmeres als ein Zuhälter mit seinen Mädchen! »Warum haben Sie nicht gleich gesagt, daß Sie ein Professor sind?« brummelte der Wirt und verteilte die nächsten Cognacs auf Kosten des Hauses.
»Weil niemand auf die Idee gekommen ist, mal zu fragen, sondern uns sofort mit Vorurteilen abqualifiziert und in eine bestimmte Schublade gesteckt hat, die gerade mal offen war! Bloß daß diese Schublade verflixt klemmte, hat keiner von Ihnen wahrhaben wollen… Kleiner Tip: Nach dem Äußeren kann man nicht immer gehen…«
Daß es auch unter Professoren unangenehme Zeitgenossen gab, mit denen selbst Zamorra möglichst nichts zu tun haben wollte, verriet der Parapsychologe vorsichtshalber erst gar nicht. Er wollte die gerade gewonnenen Sympathien nicht schon wieder abbauen, indem er die Dörfler noch mehr in Verwirrung stürzte und abermals Vorurteile abzubauen versuchte. Aber die dritte Runde Cognac schlug er dann doch aus, weil er einen klaren Kopf behalten wollte, und stieg auf alkoholfreie Getränke um.
Pierre Lanart stand neben dem ungleichen Kleeblatt am Tresen. »Und jetzt hätte ich gern mal
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