0449 - Das Schreckgespenst
schnaufend, behielt auch das runde Guckloch im Blick, aber er konnte nicht erkennen, ob hinter der Tür jemand lauerte.
Sie hatten ihn eingesperrt, obwohl er nicht krank war. Wenigstens nicht immer. Nur hin und wieder, da packte es ihn, dann drehte er durch und hätte am liebsten alles zerstört.
Gegenstände, Menschen, Tiere – einfach alles…
So war es auch gewesen, als er sich im Schrank versteckt hatte.
Und er hatte das Messer besessen.
Er hatte es ihm gegeben, denn er war sein Freund. Nicht Ampitius, der es immer behauptete, und auch nicht die Wärter mit den breiten, böse grinsenden Gesichtern.
Nein, er oder es – das Gespenst!
So blieb Rudy auf der Bettkante hocken, starrte ins Leere, dachte über seinen Freund nach und spielte mit den Fingern. Das kalte Lichte warf keinen Schatten. Decke, Wände und Fußboden unterschieden sich nicht voneinander. Die Zelle kam ihm vor wie ein gewaltiger Würfel, in den man ihn eingesperrt hatte.
Manchmal schaute Rudy zur Tür. Wenn die Wärter vorbeigingen, hörte er ihre Schritte. Jetzt blieb draußen alles still. Sie wollten nicht nach ihm schauen. Vielleicht erst am Morgen, wenn es draußen schon hell geworden war.
Plötzlich ging das Licht aus! Rudy konnte nicht mehr die Hand vor Augen sehen. Und er bekam es mit der Angst zu tun. Obwohl er nicht wie ein normaler Mensch denken konnte, hatte er das Gefühl, in einer anderen Dunkelheit zu hocken als sonst. Sie war so schwarz, so drückend, er kam sich eingeklemmt vor.
Wenn das Licht sonst erlosch, war dies für ihn das Zeichen, sich auf das Bett zu legen, die Augen zu schließen und zu schlafen. Das hätte er auch jetzt machen können, aber er traute sich einfach nicht.
Da hätte er sich bewegen müssen, das wollte er nicht. Deshalb blieb er sitzen, als hätte man ihn gefesselt.
Ob sein Freund kam?
Er fieberte plötzlich. Vielleicht öffnete ihm wieder jemand die Tür.
Rudy erinnerte sich genau, wie es war, wenn die Tür geöffnet wurde. Dann vernahm er dieses leise, saugende Geräusch, als würde jemand schmatzen. Dann war es wieder still.
Keine Schritte, kein leises Klopfen zur Begrüßung, nur die Stille war vorhanden, und die drückte.
Rudy hörte nur seinen eigenen Atem. Er wollte und konnte nicht schlafen, denn er war unruhig.
Dann war es doch da!
Zunächst fühlte Rudy es nur. Gedanken und Schwingungen formten in seinem Kopf ein Bild von dem großen Freund, der ihm bestimmt helfen würde.
Rudy blieb sitzen und starrte weiterhin zur Tür.
Er atmete schneller. Keuchend wie eine alte Dampflok stieß er die Luft aus und zuckte zusammen, als er das Geräusch an der Tür hörte.
Das war die Außenklinke.
Ja, sein Freund würde kommen. Rudy saß gespannt da. Er hatte das Gefühl, als wäre sein Rücken plötzlich ztr einer dünnen, zerbrechlichen Glasstange geworden.
Und die Tür öffnete sich.
Mit dem schmatzenden, saugenden Geräusch, auf das er so lange gewartet hatte.
Es war für ihn das Zeichen, ebenso wie die Luft, die plötzlich in die Zelle drang. Sie roch so anders, fast nach Krankenhaus.
Sein Freund kam…
Anchor lautete sein Name. Rudy liebte ihn. Auf Anchor konnte er sich verlassen. Er hatte sich seiner angenommen, als ihn die anderen immer auslachten.
Rudy stand auf. Die Erregung trieb Schweiß aus seinen Poren. Die Handflächen waren so feucht, als hätte er sie mit Wasser eingerieben.
Und jetzt sah er auch den schwachen Schein des Flurlichts, der als Dreieck durch den Türspalt fiel. Rudy vernahm ein leises Zischen.
Da strömte kein Gas aus einer Öffnung, nein, jemand lockte ihn mit diesem Geräusch.
Rudy wußte Bescheid. Mit schlurfenden Schritten ging er auf die Tür zu, wo Anchor lauerte.
Er sah ihn.
Vom Boden her war es der Schatten einer Gestalt, die den Lichtschein durchbrach.
»Kommen«, wisperte er. »Soll ich zu dir kommen, Freund? Sage es. Ich komme sofort. Ich bin auch dein Freund…«
Anchor erwiderte nichts.
Aber Rudy wollte ihn begrüßen. Ihm die Hand schütteln, seinen Freund umarmen. Deshalb ging er hin.
Anchor wartete. Rudy schlug einen kleinen Bogen, weil er direkt auf den Freund zugehen wollte. Als er den direkten Blickwinkel erreicht hatte, sah er ihn.
Nein, nur das Auge!
Groß, grün, wie eine gallertartige Masse aus trübem Glas, in dessen Innern dieses unheimliche Leuchten lag, von dem eine Gefahr ausging. Anchor war für die meisten Menschen tödlich, aber nicht für Rudy. Nein, Rudy würde er nichts tun.
Er ging deshalb weiter. Seine Lippen
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