0449 - Das Schreckgespenst
Offene Überwachungskameras sah sie nicht.
Dafür spendeten die Bäume genügend Schatten, den Florence ausgenutzt hatte. Sie hoffte, nicht gesehen worden zu sein.
Jetzt stand sie hinter einer Buschgruppe und beobachtete das Haus. Es lag im Sonnenlicht und sah unbewohnt aus. Als wäre das Haus unbewohnt.
Flo Denning fragte sich auch, ob es einen zweiten Ausgang gab.
Aus sicherheitstechnischen Gründen hätte dies sein müssen, aber der würde wohl an der Rückseite liegen und auch verschlossen sein.
Wie gelangte sie ins Haus? Das war ein Problem. Zudem wollte sie mit Rudy reden, der sicherlich mehr über den gefährlichen Fall wußte, auch wenn er sich in der vergangenen Nacht von seiner krankesten Seite gezeigt hatte.
Florence verließ ihre Deckung und schritt über den weichen Grasboden. Sie hatte das Gefühl, es allmählich zu schaffen und tatsächlich ungesehen die Rückseite zu erreichen.
Erst jetzt sah sie den schmalen Weg. Und auf ihm parkte der hohe Kastenwagen, mit dem in der vergangenen Nacht Ampitius und seine beiden Helfer gekommen waren.
Er war dunkelgrau gestrichen, wirkte allein durch seine Farbe schon bedrohlich. Hinzu kamen die beiden vergitterten Seitenfenster und die breite Schiebetür in der Mitte.
Flo kam dicht an den Wagen heran und warf einen Blick in das Führerhaus.
Es war leer. Man hatte die Türen abgeschlossen. Sie schritt um den Wagen herum, weil sie sich auch die Hecktür anschauen wollte.
Auch sie konnte von außen nicht geöffnet werden.
Über ihr, in den Kronen der Bäume, stritten sich Vögel mit lautem Zwitschern. Sie schrien dabei, als würden ihre Federn einzeln ausgerupft. Diese Geräusche übertönten alles, auch die Schritte des Mannes, der im hinteren Teil des Gartens gelauert und sich jetzt vorgeschoben hatte. Der Wagen stand zwischen ihm und Florence Denning.
Sie erschrak, als sie das leise Lachen hinter sich hörte. »Ja, wen haben wir denn da?«
Flos Herz begann wild zu schlagen. Gleichzeitig dachte sie über eine Ausrede nach, aber ihr fiel so schnell keine ein. Vielleicht hatte sie die Folgen der letzten Nacht auch noch nicht ganz überstanden, jedenfalls hörte sie den Befehl des hinter ihr Stehenden.
»Umdrehen!«
Florence Denning gehorchte – und erschrak zum zweitenmal, denn der Mann vor ihr bedrohte sie mit einer Schrotflinte. Die Waffe besaß zwei Läufe, deren Mündungen sie böse anglotzten. Auch der Mann glotzte starr. Florence kannte ihn. Es war einer der beiden Pfleger, die Dr. Ampitius in der Nacht begleitet hatten.
Auf dem Gesicht des Mannes zeichnete sich ein gewisses Erkennen ab. »Haben wir uns nicht schon gesehen, Süße?«
»Kann sein.«
»Ja«, der Pfleger sprach gedehnt und fügte ein Grinsen hinzu.
»Das war in der vergangenen Nacht. Du hast doch auch am Haus gestanden und dumm aus der Wäsche geschaut. Hattest dir einen genommen, wie?«
»Möglich.«
»Und was willst du hier?«
»Zu Dr. Ampitius.«
»Ohne Anmeldung?«
»Ich hatte mir das zu schnell überlegt.«
»Klar.« Der Mann nickte. Seine Waffe bewegte sich dabei um keinen Millimeter. Er hielt sie mit beiden Händen fest. »Ausgerechnet in dem Bau für Schwerkranke suchst du ihn?«
»Ich… ich kenne mich hier nicht aus. Ich weiß nicht, wo er sein Büro hat. Ich war auf dem Weg zu ihm. Wenn Sie mich hinbringen würden, wäre ich Ihnen sehr verbunden.«
Der Mann ließ seine Blicke über ihre Gestalt gleiten. Florence Denning trug weiße Jeans, Turnschuhe und ein dünnes T-Shirt, dessen Saum bis über den Gürtel fiel. »Ich kann dich irgendwo hinbringen, Süße. Und zwar ins Grab. Wir mögen keine Schnüffler.«
Flo Denning hatten die Worte hart getroffen. Dennoch riß sie sich zusammen. »Was soll der Quatsch? Wollen Sie mich umbringen?«
»Das ist die beste Möglichkeit, um Schnüffler los zu werden.«
»Haben Sie darin Erfahrung?«
»Vielleicht.«
»Ich vermisse eine Kollegin. Marylin Mansfield. Auch sie wurde getötet. Waren Sie das auch?«
»Das kann ich nicht sagen.«
Flo merkte, wie ihre Stimme vibrierte, als sie sagte: »Ich werde jetzt gehen, und Sie halten mich nicht auf.« Demonstrativ drehte sie dem Mann den Rücken zu. Sie glaubte nicht daran, daß er es wagte, ihr in den Rücken zu schießen.
Zwei Schritte ließ er sie gehen, dann hörte sie hinter sich das Rascheln des Grases, als sich der Pfleger mit schnellen Schritten vorbewegte und zuschlug.
Der Doppellauf traf das Mädchen am Nacken. Flo stieß noch einen langen Seufzer aus und kippte zu
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